Die Mongolen kommen

von Dr. Rolf-Peter Lacher


Die Sommerweide

November 2003

Mittlerweile sind sie da und nun weiden die acht mongolischen Ponys auf der Schwäbischen Alb auf einer grünen Koppel, während in der Mongolei ein schneidend kalter Wind über die Steppen jagt.

Rückblick

Warum mussten es mongolische Pferde sein, werden Sie fragen. Ich weiß es nicht, vielleicht war es nur der Wille, etwas Unmögliches möglich zu machen, der mich dazu gebracht hat, immer wieder zu versuchen, mongolische Pferde nach Europa zu bringen. Der Gedanke trieb mich um, seit ich vor zehn Jahren zum ersten Mal in der Mongolei war. Faxe und Briefe an Ministerien, Eisenbahnverwaltungen und Veterinärbehörden füllen Ordner, alles vergeblich, denn zwischen Deutschland und der Mongolei liegt breit und schwer das riesige Russland. Und Russland ist es völlig gleichgültig, dass irgendjemand ein paar mongolische Pferde haben möchte, so gleichgültig, dass Russland noch nicht einmal antwortet.

Auf diesem Weg, nämlich des Transits über russisches Gebiet, mit offizieller Genehmigung durch ein Ministerium im fernen Moskau ging es also nicht.

Ich brauchte – ganz einfach den richtigen mongolischen Partner, der wiederum den richtigen Partner jenseits der Grenze hatte, der jemanden kannte, der…. Aber so genau will ich das gar nicht wissen und Sie sollen es auch nicht so genau wissen.


Der Sohn des Malchin

Diesen Partner hatte ich in Nomt Yunger gefunden. Yunger ist Tierarzt, ist Leiter der Veterinärbehörde im Aimak Uvs, 1100 km westlich von Ulaanbaatar. Und dieser Provinz Uvs liegt Russland und Kasachstan benachbart. Sie verstehen? Der alte Yunger ist zudem ein wichtiger darga, ein Leiter, der seine Viehzüchter kennt und über Beziehungen verfügt. Ihn kannte ich seit einem früheren Ritt durch die steinige Einöde des Beckens der großen Seen.

Yunger bereitete alles vor: er besorgte eine Ausfuhr-Erlaubnis, er wählte aus der Herde eines Maltschin acht gute Pferde aus – die aber von tuvinischen Pferdedieben geholt worden waren, bevor ich selbst in Uvs eintraf -, er untersuchte die Pferde auf klinische Symptome und legte Listen an. Eine schwere Arbeit, sie bedeutete elendlange Fahrten über glühend-heißen Sand und holprige Wege durch die Gebirge.

Kontakte


Buyanjargal und Frau

Dann kam ich selbst nach Uvs, am 2. Juni landete ich in Ulaangom, der Provinzhauptstadt. Gleich am nächsten Tag wollte Yunger zur Grenze fahren, um mit dem Partner jenseits der Grenze zu sprechen. Aber er habe doch mit diesem Beamten schon geredet und alles klar gemacht? Na ja, nicht so ganz, ein Bekannter habe ihm, Yunger, mitgeteilt, der Beamte jenseits der Grenze mache mit, sei einverstanden.

Yunger setzte mich am nächsten Tag am Uvs Nuur ab und fuhr weiter zur Genze. Ich wartete, schwamm im See, photographierte alle, die photographiert werden wollten, alles Leute, die mich seit jenem Ritt im Jahr 2001 kannten, und wartete. Zwei Tage später kam Yunger zurück und klagte, sein Jeep müsse in Reparatur, die Achse, der Auspuff, die Lenkung. Ja, und er habe von dem Beamten jenseits der Grenze eine positive Antwort. Ob er ihn getroffen habe? Nicht so direkt, aber er habe einen Mann zu ihm geschickt. Der habe mit ihm geredet.

Am Tag darauf sollte ich mir also die acht Pferde anschauen, die Yunger ausgewählt hatte. Wir fanden den Viehzüchter, einen alten Mann mit Händen so knurrig wie Rebstöcke, die Pferde aber waren weg, ganz einfach weg, gestohlen von Tuwinern. Nun ja, nicht alle natürlich, immerhin 22 von 88 und unter ihnen auch einige von „meinen". Das war nicht mein Problem, es bedeutete eben nur, dass wir noch einmal Pferde auswählen mussten, dass Yunger noch einmal Pferde untersuchen und darüber Listen anlegen musste. Und – sagte Yunger – in meinem Hotel in Ulangom wohne gerade jetzt ein deutscher Tierarzt und der Leiter des Veterinärlabors in Ulaanbaatar, die könnten bestätigen, dass es mit seinen, Yungers, Gesundheitszeugnissen seine Richtigkeit habe.

Am Abend sprach ich Dr. K. auf mein Projekt an. Oh Gott, nein, das solle ich bleiben lassen. Eine klinische Untersuchung bringe gar nichts. Nur ein serologischer Test bringe an den Tag, wie es mit Beschälseuche, Rotz und Infektiöser Anämie stehe. – Aus der Traum. In Ulangom hatte man keine Ahnung von serologischen Tests. – Na ja, meinte Dr. K., in M. gebe es das Referenzlabor für Beschälseuche, er kenne auch den Prof. Z., ich könne mich doch mit ihm in Verbindung setzen, vielleicht übernehme er die Untersuchung, vielleicht auch den Test auf Anämie und Rotz. Ich könne auch mit Dr. Sodnomdarja reden, mit dem Leiter des Zentralen mongolischen Veterinärlabors, vielleicht setze er sich auch für mein Projekt ein. Es folgten: eMails an Prof. Z. in M., Faxe an den Kontaktmann in Russland: es gibt Verzögerungen, und – ein Gespräch mit Dr. Sodnomdarja: natürlich, er sei nicht gegen einen Export mongolischer Pferde, es müsse nur alles seine Richtigkeit haben und – in seinem Labor könne man die Blutproben für den Transport nach M. bearbeiten. – Na also!


Bei der Blutabnahme

Bei anderer Gelegenheit habe ich schon von Tumenbaryaryn Batsukh erzählt, dem Herrn über 150 Pferde, oder mongolisch ausgedrückt, über fünf Hengste mit ihren jeweiligen Stuten, Wallachen und Fohlen. Aus seiner Herde sollte ich 15 Pferde auswählen. Yunger hatte eingesehen, dass es nicht so ging, wie er es sich vorgestellt hatte: den Pferden ins Maul und in die Augen schauen und ab damit über die Grenze. Man musste es verstehen: ein altgedienter Tierarzt wusste einfach, ob ein Pferd gesund oder krank war. Aber er ließ sich wohl oder übel darauf ein, dass man von 15 Pferden Blut nehmen musste, damit man vielleicht 8 einwandfreie bekam.

Die Auswahl


Bei der Auswahl

Batsukh ließ seine 150 Pferde zusammentreiben und meinte, ich solle mir 15 auswählen, ganz einfach so. Ein junger Kerl ritt mit mir um die Herde, umkreiste mit mir die einzelnen „Familien", die von den Hengsten zusammengehalten wurden. Ihn fragte ich und deutete dabei auf ein Pferd, das mir aufgefallen war – wobei mir zu Hause die Mahnung mit auf den Weg gegeben worden war: Sie müssen vor allem einen schönen Kopf haben – also ich fragte den Burschen: Kheden nastai? Wie alt? Antwort: Dorvon nastai guu. Oder : Doloonastai mor Also: eine vierjährige Stute bzw. ein siebenähriger Wallach. Dann ich: Bolokh uu? Kann ich die haben? Und er: Bolno oder bolokhgui. Ja bzw. nein. – Die Pferde waren allesamt noch klapperdürr, aber ich sah, wie die Beine standen, schaute mir den Rücken an, natürlich den Kopf, Vorderhand, Hinterhand. Ich denke, ich habe gut gewählt und durfte mir etwas einbilden, als mein Begleiter zu Batsukh sagte, manchmal habe er gehofft, ich würde dieses und jenes Pferd übersehen, weil sie es gern behalten würden und genau dieses Pferd hätte ich ausgewählt. – Die jungen Männer die Pferde schneller zusammen, als ich sie ausgesucht hatte. Lassoschwingend preschten sie hinter ihnen drein, Staub stob auf, Hengste wieherten und drängten Rivalen ab, die sich in dem Durcheinander an ihre Gruppe heranmachten. Da sah man, was ein gutes Uurga-Pferd ausmachte. Die Uurga ist eigentlich die Fangstange. Aber hier in Uvs verwendete man das Lasso. Ein Uurga-Pferd beschleunigt wahnsinnig schnell, es folgt den Richtungswechseln des gejagten Pferdes und der Reiter kann ihm die Zügel auch im Galopp auf den Hals legen, wenn er das Lasso mit beiden Händen halten und sich dabei in die Steigbügel stemmen muss, um das gefangene Pferd abzubremsen. Schnell springt der Reiter ab und haut die Hacken in den Schotter, bis das Pferd zitternd steht.

Man führte mir alle Pferde, die ich ausgewählt hatte, vor, ich photographierte sie und Yunger vermaß sie und legte wieder eine Liste an. Das war harte Arbeit, wenigstens für die jungen Männer, die die Pferde eingefangen hatten.

In einem Ger, auf russisch Jurte, ist es erstaunlich kühl, in einer baumlosen, dürren Ebene, auf die die Sonne von einem erbarmungslos blauen Himmel herunterbrennt, weiss man das zu schätzen, wenn man im Kreis der Männer bei gesalzenem Tee mit Milch und der üblichen Fleisch-Nudel-Suppe hockt.

Verhandeln


Batsukh Lehrer und Malchin

Ich hatte Yunger beiseite genommen und mich mit ihm auf Russisch leise darüber verständigt, was ich für die einzelnen Tiere bieten sollte. Was denn die Stuten kosten würden, fragte ich Batsukh. Neg guu khoyor zun myanga, also 200 000 Tukrig. Nun, das ging. Und die Wallache? 500 000 Tukrig. Wallache sind Reitpferde, also wertvoller, so denkt man in der Mongolei.

Ich hatte Yunger immer wieder erklärt, Geld gebe es erst, wenn die Pferde jenseits der Grenze und noch dazu auf den Lastwagen verladen seien. Er widersprach mir nicht. Der Fall schien also klar. Ich würde also meinen russischen Kontaktmann an die Grenze schicken, sobald die Antwort von Prof. Z. eintraf, Blutproben genommen und nach M. geschickt wurden und ein negatives Ergebnis vorlag. Aber schon Prof. Z.’s Antwort ließ auf sich warten. Schließlich rief ich selbst an: Ja, er könne mir mitteilen, sein Institut nehme den Auftrag an. Er lasse Dr. K. grüßen. Wieder einen Schritt weiter. Jetzt also die Blutproben, dafür war Yungers junger Kollege zuständig. Ich selbst nahm die Seren mit nach Ulaanbaatar, ließ sie in Sodnomdarjas Labor bringen. Yungers Tochter flog damit nach M. und übergab die Thermoskanne mit den Seren Prof. Z..

Warten

Ich selbst konnte nichts mehr tun, der Urlaub war vorbei. Warten und Woche für Woche im Institut bei Prof. Z. anrufen, wie weit er denn mit der Analyse sei. Dass sich keine Antikörper gefunden hätten, die auf Beschälseuche hindeuteten, das konnte er mir immerhin bald sagen. Aber die Spezialisten für Rotz und Infektiöse Anämie seien in Urlaub. Die Wochen vergingen.

Dann ließ Yunger mitteilen, Batsukh rücke die Pferde nur heraus, wenn sie bei ihm, in seinem Ger bezahlt würden, wenn sie erst im Ausland seien, seien sie für ihn verloren. Was sollte aber ich tun, wenn es nicht gelänge, die Pferde dort an der Grenze abzuholen und nach Westen zu transportieren.

Und immer noch warten

Dann aus M. die Nachricht: die Pferde seien in Ordnung, nichts da mit Beschälseuche, Rotz und Infektiöser Anämie. Was also tun? Sollte ich mich auf Batsukhs Forderung einlassen oder das Projekt ein für alle Mal abschreiben? Ein verdammtes Spiel. Gut, sagte ich, ich schicke das Geld, aber den Lastwagen schicke ich erst an die Grenze, wenn die Pferde jenseits der Grenze sind. Aus Ulangom, Ulaanbaatar, von der Grenze kamen widersprüchliche Mitteilungen: die Pferde seien schon unterwegs zur Grenze, sie müssten in drei Tagen dort eintreffen, nein, sie würden erst am nächsten Tag aufbrechen, sie seien durch Hochwasser führende Flüsse aufgehalten worden, Togtokh, einer der Treiber habe Alexey Terentevitch an der Grenze getroffen und erfahren, jener habe kein Geld dabei. Die Pferde würden zurückgetrieben werden. Nun ein aufgeregtes eMail meinerseits an Alexeys Tochter und Anruf Larissas bei ihrem Vater: warum er denn behaupte, er habe kein Geld dabei. – Ich konnte es mir denken: er befürchtete, er bekommt eines über den Schädel und das Geld ist weg.

Und immer noch warten

Dann eine Mitteilung aus Uvs auf dem Umweg über Ulaanbaatar: die Treiber würden die Pferde erst über die Grenze bringen, wenn der Lastwagen bereitstehe.- Sollte ich mich also auch darauf einlassen und den Lastwagen aus dem Westen losschicken? Nun kam es schon gar nicht mehr darauf an. Also, Anruf im Westen: der Lastwagen soll sich auf den Weg machen. Anruf von der Grenze: die Treiber wollten mehr Geld. Sie müssten bei Regen die Pferde bewachen. Anruf aus Ulaanbaatar: Alexey sei verschwunden, die Pferde würden zurückgetrieben werden. Und die Treiber möchten noch mehr Geld. Meinerseits eMails und Anrufe: jeder bleibt auf seinem Posten. Geld bewilligt. Alexey hatte sich nur vor dem kalten Regen ins Hotel geflüchtet. – Und dann endlich der erlösende Anruf: Die Pferde sind auf dem Lastwagen, alle Genehmigungen vorhanden, Untersuchung erledigt.

Alexey hatte mit dem Direktor einer westlich des Ural gelegenen Kolchose vereinbart, dass meine Pferde dort die vorgeschriebene Quarantäne absolvieren könnten. Dort konnten sie sich von der tagelangen Fahrt durch die Weiten Kasachstans erholen, dort wurden sie herausgefuttert und wieder untersucht und getestet und geimpft und – mit ordentlichen, EU-tauglichen Dokumenten versehen.

Jetzt stand der letzten Reise nichts mehr im Weg. Jetzt ging alles seinen Gang. Für die Grenzspedition waren meine Pferde nur irgendwelche Pferde, einige wenige von den vielen, die sie Jahr für Jahr abfertigten.

Und während Sie das lesen, weiden sie in aller Ruhe auf den Hängen der Schwäbischen Alb. Wenn es erst – 25° C hat, werden sie sich ganz wie zu Hause vorkommen.

Das war der Stand im November 2003.

Mittlerweile haben sie einen langen Winter überstanden, als einzige Mongolenpferde ohne abzunehmen. Sie haben sich mit meinen Highland Ponies zusammengerauft und erleben nun das erste mitteleuropäische Frühjahr


Angekommen


   

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