Wie die Richter von Uliastai einen Lkw anschafften
GTZ und Hanns-Seidel-Stiftung aktiv bei der Rechtsreform
Von Hugo Kröpelin


Heinrich Beckmann, hier mit Teilnehmern
eines mehrwöchigen Kurses vor dem Stadtgericht von Ulaanbaatar

Jahrelang hatten die Richter von Uliastai, einer Bezirksstadt im Nordwesten, von ihrem Gehalt etwas abgezweigt und dafür eine Schafherde angeschafft. Wollte einer von ihnen ein Fest feiern, konnte er reichlich Hammelfleisch auffahren. Doch als die Dürre kam und das Futter knapp wurde, rangen sich die Richter dazu durch, das Vieh zu verkaufen. Mit dem Erlös kauften sie einen Lkw. "Stoßen Sie darauf mit uns an", bat der Präsident des Bezirksgerichts den Deutschen Heinrich Beckmann. Der frühere Präsident des Landgerichts Verden folgte der Einladung, konnte sich aber die Frage nicht verkneifen: "Wem gehört denn nun das Fahrzeug? Dem Gericht oder seinen Mitgliedern?" Betroffenes Schweigen in der Runde. "Wenn ihn einer braucht, kann er ihn nutzen", meinte der Kanzleichef und verriet, eingetragen sei er auf seinen Namen. "Und wenn ein Mitarbeiter des Gerichts ausscheidet? Bekommt der eine Abfindung?" Noch während des Umtrunks wurde festgelegt: Der Lkw ist gemeinschaftliches Eigentum. Jeder erhält einen Anteilschein, und den kann er beim Ausscheiden einlösen.

Der 68-jährige Beckmann ist schon zum zweiten Mal in der Mongolei, um hiesige Richter fortzubilden. "Zuerst hatte ich es für unmöglich gehalten, ihnen in einer für sie fremden Sprache irgendwelche Erfahrungen zu vermitteln", erinnert er sich. Doch entschlossen nahm er den Auftrag des Senior Expetern Service und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) an. 7000 Kilometer hat er im ersten Sommer zurückgelegt, im Jeep über Stock und Stein durch die Steppe oder mit der nicht gerade komfortablen AN 24. Mit der Dolmetscherin ging es leicht in medias res: Das mongolische Zivilrecht ist nach der Wende reformiert worden, es basiert weitgehend auf deutschem Recht", hat der Seniorrichter festgestellt. Da es aber offenbar wenig angewendet wurde (siehe obiges Problem aus dem Eigentumsrecht als Teil des Zivilrechts), habe seine Aufgabe darin bestanden, "den Richtern den systematischen Aufbau von Gesetzen vermitteln" und unter anderem deutlich zu machen, "wie ein klar gegliedertes, logisches und dem Leser verständliches Urteil abgefasst wird".

Dieses Jahr waren Heinrich Beckmanns Gesprächspartner 60 Richter aus den acht Stadtbezirken der Hauptstadt und 38 Direktoren der erstinstanzlichen Gerichte aller Bezirke. Gerichtsmanagement und Geschäftsverteilung, aber auch Disziplinarrecht und die Beurteilung von Richtern waren die Themen. Andere deutsche Richter nach Beckmann haben in anderen Bezirken mit den Kollegen vor Ort zu anderen Themen gesprochen. "Bis 1995 waren einige Gesetze reformiert worden, aber unter Zeitdruck und ohne fundierte Studien sowie ohne Abstimmungen der einzelnen Entwürfe aufeinander", schaut Dr. Dietrich Nelle zurück.

Seit mehreren Jahren koordiniert er das GTZ-Projekt Rechtsreform. Fortbildung ist jedoch nicht alles. Mit deutscher Unterstützung ist unter anderem das Grundbuchamt der Mongolei entstanden. "Das war die Voraussetzung für die Privatisierung der Wohnungen", so Nelle. Da Grund und Boden immer noch nicht privatisiert wird, werden in die Grundbücher die Wohnungen eingetragen. Die reorganisierte Geschäftsstelle eines Stadtbezirksgerichts von Ulaanbaatar hat inzwischen sogar in Tirana, der Hauptstadt Albaniens, Schule gemacht. Angeschoben haben GTZ und mongolische Justizbeamte regelmäßige TV-Sendungen, mit denen sie den Bürgern Gerichtsurteile anhand von Gesetzen erläutern.

Gut 200 Meter entfernt vom Justizministerium mit dem GTZ-Projektbüro wirkt die Hanns-Seidel-Stiftung. Diese hatte schon 1993 die ersten Kontakte mit mongolischen Rechtsgelehrten hergestellt, seit 1995 gibt es Vereinbarungen zwischen der mongolischen Regierung und der Stiftung aus Bayern. Die Förderung und Beratung im Bereich des Rechts und der allgemeinen Verwaltung ist vielseitig.


Heinrich Beckmann und zwei Richterinnen greifen ein Thema nochmal auf

Zu Studien und Weiterbildung flogen mongolische Studenten und Dozenten nach München, Rechtsexperten erkundigten sich in mehreren mongolischen Bezirken nach der Anwendung der Gesetze in der öffentlichen Verwaltung. 1997 informierte sich der stellvertretende Polizeipräsident von Niederbayern/Oberpfalz im Präsidium und anderen Einrichtungen der Polizei von Ulaanbaatar. Wenig später holte sich ein Parlamentsmitglied aus der Mongolei im Innenministerium und mehreren Polizeirevieren Münchens, bei Grenzern, Kriminalisten und Ordnungspolizei wichtige Erfahrungen für die Arbeit der mongolischen Behörden.

Ebenso wenig "trocken" waren Seminare, Symposien, Workshops und internationale Konferenzen, die die Hanns-Seidel-Stiftung organisiert hat. Dabei ging es zum Beispiel auch um aktuelle Probleme der Erziehungswissenschaft und des Schulrechts sowie um Medienpädagogik. Von vier auf fünf Jahre verlängert wurde das Jurastudium. Zusammen mit der GTZ hat die Stiftung eine Rechtsdatenbank beim Justizministerium mit allen geltenden Gesetzen und Urteilen geschaffen. Auf die können die Richter in der Provinz über CD-ROM und später über Internet zurück greifen.

Auch die HSS nutzt die Medien für die Rechtspropaganda. Da die in Ulaanbaatar gedruckten Zeitungen nur mit großer Verspätung und manche gar nicht in der tiefen Provinz ankommen, organisiert sie seit Mai 1997 monatlichen Funkunterricht. Hier geht es oft um regelrechte Alltagsfragen wie zivilrechtliche Verträge, um Erbrecht, Arbeitsverträge, Verhinderung von Straftaten, Kaufverträge im Viehhandel oder die Rechte von Verbrechensopfern. Mitgewirkt hat die HSS an Gesetzentwürfen (Strafgesetzbuch, Strafprozessordnung, Polizeigesetz, Verwaltungsprozessordnung), die nun dem Parlament zur Verabschiedung vorliegen. Auch Dutzende Publikationen gehören zur Medienarbeit des HSS-Projektbüros unter Leitung von Frau Prof. Dr. Tserenbaldaviin Sarantuya. Nach mehreren hohen Justizbeamten aus Bayern war in diesem Herbst auch Justizminister Manfred Weiß zu Gast. Erst Anfang schauten sein Amtskollege Nyamdorj, Vize Munkh-Orgil und sieben RichterInnen ins Oberste Landgericht und ins Oberlandesgericht München, ins dortige Grundbuchamt sowie in mehrere Gerichte auf unterer Ebene.

Auch in Niedersachsen, wo Heinrich Beckmann, ging in diesem Herbst der Erfahrungsaustausch weiter. Zwei Richterinnen – das Recht ist in der Mongolei weitgehend in Frauenhand – hospitierten zwei Monate in Verden, Syke und Walsrode. Wie die "Verdener Nachrichten" nach Gesprächen mit den beiden mitteilten, gibt es für eine Reihe schwerer Verbrechen noch die Todesstrafe. Sieben von zehn Richterstellen sind mit Frauen besetzt. Dem Bericht des Blattes zufolge kniffen die Mongolinnen auf einem Reiterhof vor den Pferden. Aber dafür haben sie die Nordsee gesehen- ein Erlebnis für alle Gäste aus dem Land zwischen Taiga und Wüste.

Quelle: mit freundlicher Genehmigung von Hugo Kröpelin, News Stories Photos aus Berlin und Brandenburg
(Dezember 2000)


   

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