Bereits auf dem Flughafen von Ulan-Bator schlug
uns der Wohlgeruch der Mongolei entgegen, der auch in den kommenden Wochen nicht mehr von
unserer Seite weichen sollte und auch noch nach unserer Rückkehr zur Freude unserer
Lieben führte: Hammel. Alles roch nach Hammel. Die Schalterhalle, die Mongolen, die
Stadt, und, das schlimmste, das Essen schmeckte sogar nach Hammel, was natürlich damit
zusammenhängen könnte, dass es Hammel war. Die stundenlange Fahrt von Bonn bis Berlin
mit dem Reisebus, das zähe Ausharren auf dem Flughafen Tegel - denn, ein Ticket allein
sichert beim überbuchten Flug noch lange nicht die Mitnahme-, der schwüle Aufenthalt im
Moskauer Flughafen, der lange Weiterflug nach Ulan-Bator und, als hätten wir nicht schon
genug erlitten, auch noch der Film "Armageddon" im Bordkino - wir waren etwas
erschlagen, als wir endlich unser Ziel erreichten. Das ältere Ehepaare, dass vor unserem
1.94m Bieber saß und wütend reagierte, als es wegen seiner Beinlänge den Sitz nicht
voll zurückstellen konnte, führte doch zu unsere aller Belustigung. Zitat: "Ich
darf den Sitz zurückstellen, also nehmen sie die Knie aus meinem Kreuz".
Zwei Busse brachten uns an unseren ersten Zielort: Das Jugendzentrum Nairemdal vor den
Toren Ulan-Bators. Wir waren zusammen mit mongolischen Jugendlichen in idyllischen
Holzhütten untergebracht, wobei die unsrigen im japanischer und finnischer Bauweise
gehalten waren, und stellten bald fest, dass sich die Kommunikation als ein Kinderspiel
erwies. Am ersten Abend trafen wir uns zum Lagerfeuer auf einem Hügel oberhalb des Camp.
Unser Weg dorthin führte uns über Wiesen, wie wir sie unseren Lebtag noch nicht gesehen
hatten: Edelweiß, Lilien, Astern, Enzian bis zum Horizont. Inmitten einer Edelweißwiese
wurden wir später von einem Mongolen gefragt: Was ist eigentlich so toll an Edelweiß ?
Nun, äh, es ist so selten.... Die Hügel des Mittelaltai erinnerten ein wenig an die
Berge von Wales oder Schottland, ohne ihre Höhe oder rauhe Felsigkeit zu erreichen. Die
Weitsicht auf den Bergen ist gerade im letzten Abendlicht eine Sensation. Es ist, als ob
man auf dem Meer bis zum Horizont über weite Wellen sehen würde. Nachdem auch der letzte
am folgenden Tag seinen Jet-lag gemeistert hatte, trafen wir zusammen, um von den Mongolen
einen "Volks-"Tanz zu lernen. Nach erster Unsicherheit stellten wir fest, dass
es sich um den Ententanz handelte, wie er ja im rheinischen Karneval durchaus bekannt ist.
Im Gegenzug brachten wir unseren Freunden die Sternpolka bei.
Vor dem Abendessen hatten wir dann noch
genügend Zeit, um den höchsten Berg der Umgebung zu ersteigen. Edelweiß und Fliegen bis
zum abwinken, erst später testeten wir erfolgreich aus, dass Autan bei mongolischen
Fliegen Fluchtreaktionen auslöst. Der Blick über Ulan-Bator war zwar nicht gerade
bezaubernd, aber die in den Tälern ringsum verteilten weißen Jurten und die Weitsicht
entlohnten uns zutiefst. Anschließend fanden wir uns dann zur offiziellen Eröffnung
zusammen. Die 500 anwesenden Jugendlichen bekamen je nach Gruppe verschiedene farbige
Halstücher umgehängt und marschierten in Dreierreihen auf dem Festplatz zusammen.
Unter dem wohlwollenden Blick des mongolischen Jugendministers wurden die Flaggen der
anwesenden Nationalitäten gehißt: Die mongolische, die schottische, die russische und
die deutsche. Als deutsches Kontingent dürften wir uns in einer kurzen Vorstellung
präsentieren. Wir sangen. Die mongolischen Helferlein hatten schnell raus, vor wessen
Nase sie am besten die Mikrophone postieren konnten- und wo lieber nicht.
Die Schotten waren nach uns an der Reihe, und da
sie mit Fiddle und Bodran bewaffnet waren, ahnten wir schon, wer beim Vergleich besser
abschneiden würde. Dem war aber nicht so. Die russischen Mädchen ihrerseits waren recht
jung und schüchtern und hatten deshalb alle Sympathien auf ihrer Seite, als sie mit all
ihrer Puste herzerweichend schief eine russische Weise zum besten gaben. Ausgeschmückt
wurde das Programm von einer professionellen mongolischen Kindertanzgruppe. Am nächsten
Morgen ging es zum Naadam-Fest, DEM kulturellen Ereignis in Ulan-Bator. Wie es der Zufall
so wollte, wurden wir in der überfüllten Tribüne des Ringerwettkampfes just neben
japanische Altpfadfinderinnen gesetzt und bald mit Karamelbonbons gefüttert. Fidschi
lernte seine erste Lektion zum Thema "Traue keinem mongolischen Schuhputzer" und
bezahlte den überteuerten Phantasiepreis von 10000 Tugrik (normaler Preis: 200 Tugrik,
entsprechen etwa 40 Pfennig). Am folgenden Tag ging es zum Pferderennen, und während
wildgewordene Mongolen mitsamt Pferd in die erste Reihe vordrängelten, und wir genug
damit zu tun hatten, nicht unter die Hufe zu geraten, gingen einige Geldbörsen und
Fotoapparate unserer Gruppe in die Hände anderer Besitzer über.. Auch so kann man
Entwicklungshilfe leisten. Abends wurde der Tag stets im großen Kreise beschlossen. Das
mongolische Abendlied wurde, wie es auch bei uns üblich ist, mit überkreuzten Armen
gesungen und doch mit einer Besonderheit: Ein Küßchen wanderte in Uhrzeigerrichtung von
Wange zu Wange. Jedesmal ein Anlaß zu Gelächter, wenn unsere "starken Jungs"
Krisenzustände bekamen, weil sie sich küssen sollten oder sich die Mongolinnen den Hals
verrenkten und auf Fußspitzen balancieren mußten, um an die
190-Zentimeter-und-mehr-Riege Jens, Jo, Latte oder Bieber heranzureichen. Der
anschließende "Mongolische Tag" war von unseren Gastgebern vorbereitet worden:
Wir verbrachten ihn mit einem Mini-Naadam-Fest.
Spatz trat erfolgreich gegen 29 mongolische Gegner im Ringen an und erreichte zu unser
aller Freude, (denn bei jedem gewonnen Durchgang warf er uns Hände voll mit Süßigkeiten
zu), den sensationellen zweiten Platz. Es folgte Bogenschießen und Pferderennen.
Nachmittags gab es dann Beiträge zu Tanz, Gesang, Kleidung und Brauchtum der Mongolei.
Auch lernten wir etwas über Tierpsychiatrie - wenn ein Kameljunges seine Mutter verliert,
wird einer fremden Kamelstute nämlich die traditionelle Pferdekopfgeige um die Höcker
gehängt und einen Tag lang zweistimmig auf sie eingesungen, bis diese nach dieser
Gehirnwäsche schließlich gar nichts mehr weiß und das fremde Junge annimmt. Zum
Tagesausklang besuchten wir eine Jurtenfamilie, bei der wir vergorene Stutenmilch
ausgegeben bekamen, den sogenannten Arjak, der sich äußerst nachhaltig beschleunigend
auf unsere Verdauung auswirkte. Wir erwanderten am kommenden Tag das benachbarte
Jugendcamp, und fielen mit einem Schlag aus unserer behüteten Welt, als nach Berg und Tal
Tour angekommen im Lager das Wasser abgestellt und die Toilette vom Modell "hat
keinen Sitz, stinkt aber 200m gegen den Wind" war. Am nächsten Morgen hieß es für
Lupo, Georg, Adem, Lotte und Almi früh aufstehen, denn sie waren zum offiziellen Besuch
beim Bürgermeister von Ulan-Bator eingeladen. Bei der Fahrt kamen sie bald zur
Überzeugung, dass der Milchshake in der Mongolei erfunden wurde. Das Auto schaukelte
gezielt in jedes Schlagloch der Strecke, Staub wirbelte um sie und Anschnallgurte sind
nicht gerade "In" in der Mongolei. Nach dem Austausch von Geschenken und
Blitzlichtgewitter fanden sie sich- denn ein Frühstück hatten sie noch nicht gehabt- vor
dem "Cafe Sacher" in Ulan-Bator wieder. Ihnen stiegen Freudentränen in die
Augen, als sie die Speisekarte lasen und sie stopften Berliner und Sachertorte in sich
hinein, bis sie nicht mehr konnten.
Früh gings zu Bett, denn am nächsten Tag waren wir an der Reihe, uns zu revanchieren: "Deutscher Tag". Netterweise und ohne unser dazutun waren der deutsche Botschafter und der chinesische Staatschef Jiang Zemin, der zu diesem Zeitpunkt in Ulan-Bator weilte, eingeladen worden. Letzteres führte zu heftigen Diskussionen. Unser Amnesty-International-Mitglied Ach-hel vom Pfadfinderbund Mecklenburg-Vorpommern echauffierte sich aufs äußerste, denn er wollte diese Gelegenheit partout dazu nutzen, um Jiang Zemin mitzuteilen, was er von seinen Verstößen gegen das Menschenrecht halte und Lupo, BdP-ler aus Bonn und Hauptorganisator der Reise, verbot es ihm schlicht und ergreifend. In der Auseinandersetzung ging es um Wahrhaftigkeit einerseits und Respekt gegenüber den Erwartungen unserer Gastgeber andererseits. Das Problem erledigte sich dann jedoch von alleine, als Jiang Zemin absagte. War vielleicht auch besser so, denn das von uns geplante Geländespiel wurde von den 500 Jugendlichen teilweise nicht verstanden und artete in Chaos aus. Dafür hatte Spatz von morgens an mit seinen Gehilfen in der Küche gewerkelt und ein typisch deutsches Gericht auf die Beine gestellt: Reibekuchen und Hamburger. Wir hauten rein wie nie zuvor.
Am nächsten Morgen ging es nach einem Besuch
des Jugendausstellungspalastes in unsere Gastfamilien. Wir kamen alle in Plattenbauten
unter, die in der Mongolei der gehobenen Klasse vorbehalten sind und von außen deutlich
schlimmer aussehen als von innen. Nachts wird in ihnen das Wasser abgestellt, Licht gibt
es im Treppenhaus auch nicht, und den Aufzug zu benutzen, trauten sich selbst unsere
Mongolen nicht. 20 kg Gepäck schonmal in den neunten Stock geschleppt ? Die folgenden
Tage verbrachten wir alle unterschiedlich, wir machten Besichtigungstouren in der Stadt
oder Fahrten aufs Land im Kreise unserer Gastgeber, z.B. zum Schildkrötenfelsen. Wir
lernten schnell die mongolische Lebensart schätzen. Es reicht hierzu zu wissen, dass das
eigentlich irische Sprichwort: "Als Gott die Zeit erschuf, hat er genug von ihr
erschaffen" erst in der Mongolei volle Gültigkeit erlangt. Nach drei Tagen trafen
wir wieder zusammen und jeder hatte viel zu erzählen. Dann fuhren die
"Zivilisten" in einem neuen, modernen Bus und unserer Leonie Richtung Wüste
Gobi und wir Pfadfinder mit einer klapprigen Schräddelsmühle und der passionierten
Pferdenärrin Svenja, die bald in "Wendy Paula Ponyhof" umgetauft wurde, in den
Naturpark nahe Nalajcha. Natürlich klappte der moderne Bus der Gobigruppe bereits am
ersten Abend mit Motorpanne zusammen und sie saßen zwei Tage in der Wüste fest, uns
blieb dieses jedoch erspart. Brav zockelte unser Bus zwei Stunden über Landstraßen, bis
wir in einem schönen Bergtal ankamen, wo wir unsere Kothen errichteten. Die Blumen
standen wadenhoch, und wir waren völlig ungestört mit der hinreißenden Natur und den
Murmeltieren. Die Mongolen, die uns als Reitbegleiter zur Seite standen, waren sehr stolz
darauf, dass ihre Ponys von Wildpferden abstammten. Nach einigen Ritten und
Stürzen im Tal starteten wir dann zu längeren Ausflügen in die Berge. Mit den Pferden
hatten wir jedoch definitiv weniger zu kämpfen, als mit den Sätteln. Diese waren aus
Holz und quetschten gerade die Jungs an den empfindlichsten Stellen. Die Klügeren traten
bald nur noch mit schützenden, vorgelegten Jacken zu Touren an. All das konnte uns jedoch
nicht abhalten: Uns hatte das Reitfieber gepackt ! Wir fühlten uns in der berauschenden
Berglandschaft bald wie echte Cowboys und die Gemeinschaft mit den mongolischen
Pferdehütern wuchs von Tag zu Tag. Unvergessen bleibt die Pause in der Steppe, bei der
Reitlehrer Tomur aus seinem Stiefel eine kleine Flasche hervorzauberte, in der sich
glücklicherweise kein Arjak befand, sondern guter Wodka, den wir brüderlich miteinander
teilten und auch den Göttern seinen Teil zukommen ließen, indem wir mit dem Zeigefinger
in den Wodka dippten und die Tropfen in die vier Himmelsrichtungen schnippten. Das half,
alle Blessuren waren vergessen. Reiten kann ja so einfach sein, wenn man weiß, wie.
Viel zu schnell verging die schöne Zeit im Gebirge. Zum Abschlußessen hatten wir eine Ziege bestellt. Unsere mongolischen Begleiter zeigten uns, wie man schlachtet, und bereiteten sie traditionell mit heißen Steinen zu. Sie schmeckte super lecker und frisch. Um zwei Uhr Nachts, der Vollmond stand groß am Himmel und tauchte alles in gespenstisches Licht, machte Spatz nur wenige tausend Meter von unserem Lagerplatz entfernt einen grausigen Fund. Ein von Wölfen völlig zerfleischtes Pferd - eines von unseren, sofern sich das noch feststellen ließ - . Bei unserem Abschied wischten sich Tomur und die anderen Reitlehrer Tränchen aus dem Augenwinkel, Tomur überreichte uns als Erinnerung die abgetrennten Knöpfe seiner Jacke (aus Silber und selbstgefertigt) und wir ihnen ein Fahrtenmesser und einen Leatherman. Geschenke gehören in der Mongolei zum guten Ton, wir hatten jedoch das Gefühl, mehr empfangen, denn gegeben zu haben. Am letzten Tag war der Bus, der uns zum Flughafen bringen sollte, für halb sieben bestellt. Lupo hätte es nach seinen zahlreichen Mongoleireisen doch besser wissen sollen, denkt man. Natürlich mußten wir schließlich eilig in Viererpäckchen in angehaltene Autos verfrachtet werden: Taxis gibt es eh kaum, also einfach Daumen raus und pro Tachokilometer 200 Tugrik zahlen. Mit dem Gedanken im Kopf, dass einer unserer Schotten, mit denen wir im Jugendcamp Nairemdal verweilt hatten, inzwischen bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, wurde einigen von uns bei der Fahrt doch schummrig zumute. Natürlich trafen wir wieder das nette ältere Ehepaar beim einchecken, und die Frau verlor bei unserem Anblick ihre Nerven und bekam einen hysterischen Anfall. Im Bordkino kam "Armageddon" - juppididu.
Drei Wochen voller fremder Eindrücke lagen hinter uns und vergleichbares hatten wir bisher nicht erleben können. Wir sind voller Dankbarkeit für die uns zugekommene Gastfreundlichkeit und vermissen fast sogar den Geruch von Hammel. Die Mongolei ist sicherlich mehr als eine Reise wert. Wer weiß, vielleicht treibt uns unser Weg noch einmal dorthin, schön wäre es auf jeden Fall.
Hag Sturmreiter und Stamm von Gottberg, DPB
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Last Update: 03. Januar 2021