Botschafter Thiedemann
Seit dem 15.
Juli 2013 ist Gerhard Thiedemann der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland
in der Mongolei.
Nach einem
Studium der Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Hamburg arbeitete er
zunächst als Rechtsanwalt, danach in den Bundesministerien für Jugend, Familie
und Gesundheit sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Bonn.
Seine
Auslandseinsätze führten ihn an die deutschen Botschaften in Washington (USA),
Dhaka (Bangladesch), Kairo (Ägypten) und nach Tokio (Japan).
Von 2010 bis
2013 vertrat er Deutschland Botschafter in der Demokratischen Volksrepublik
Korea.
„Übrigens liegt
unsere Botschaft in Pjöngjang in unmittelbarer Nachbarschaft zur mongolischen".
Gerhard
Thiedemann ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.
Trotz des
bevorstehenden ASEM-Gipfels am 15. und 16. Juli in Ulaanbaatar und wenige Wochen
vor dem Ende seiner Amtszeit in der Mongolei nahm sich der Botschafter Zeit für
ein Gespräch mit MongoleiOnline über seine Erwartungen und Eindrücke, über die
Besonderheiten seiner Arbeit und über seine Einschätzung der politischen und
wirtschaftlichen Lage in der Mongolei.
„Die Mongolei
war mein Wunschposten", hob Thiedemann gleich zu Beginn hervor.
„Das Land ist ein reizvoller, sympathischer Solitär zwischen Europa/Russland und
Asien/China".
Zudem ist die Mongolei für jeden Diplomaten aus Deutschland ein überaus
spannendes Land, hüten sollten wir uns davor, es in eine Schublade zu stecken.
Dieses in seiner geografischen Ausdehnung riesige Land mit seiner zahlenmäßig
kleinen Bevölkerung blickt auf eine lange, beeindruckende Geschichte zurück.
Sowohl von den zentralasiatischen Staaten (die ehemaligen mittelasiatischen
Sowjetrepubliken – R. B.) als auch von den beiden großen Nachbarn Russland
und China unterscheidet sich die Heimat von Chinggis-Khaans Erben kulturell,
geschichtlich und religiös.
Trotzdem spiegeln sich hier viele regionale, politische, kulturelle und soziale
Einflüsse und Bezüge wider.
Nicht nur die jungen Mongolen stehen allem Neuen aufgeschlossen gegenüber,
kulturelle Anleihen nehmen sie wie selbstverständlich in Seoul und Berlin
gleichermaßen auf.
Die westlichsten Landeplätze der MIAT (nationale mongolische Fluggesellschaft
– R. B.) liegen in Berlin und Frankfurt.
Wichtig für Deutschland und die Mongolei.
Beide Länder
haben vor 26 Jahren eine friedliche Revolution erlebt, in deren Folge Mongolen
und die Deutschen in der ehemaligen DDR freiheitliche demokratische Verhältnisse
geschaffen haben.
Die Entwicklung in der Mongolei hin zu einem demokratischen Staatswesen sucht in
der Region ihresgleichen.
2011 habe ich
die Mongolei gemeinsam mit meiner Frau als Tourist bereist.
Drei Wochen haben wir die beeindruckenden Landschaften und Naturschönheiten des
Landes von Nord nach Süd und von Ost nach West erlebt.
Wir sind Naturfreunde und waren begeistert.
Das Khugnu-Khan-Gebirge haben wir durchstreift, auch andernorts sind wir
gewandert.
Auf dem Orkhon und der Tuul haben wir uns den Traum vom Kajakfahren erfüllt.
Die Mongolei
wird sicher kaum ein Land für den Massentourismus werden, die Zukunft liegt eher
im Individual- und Nischentourismus.
Natürlich habe ich zahlreiche Dienstreisen in alle Regionen der Mongolei
absolviert.
Es fällt schwer, eine besonders hervorzuheben, reizvoll waren sie alle.
Angesichts der unendlich scheinenden Weite, der Stille und der wechselnden
Farben im Laufe der Tages- und Jahresszeiten bleibt dem Reisenden nur Ehrfurcht
und Staunen.
Die Größe und
das Klima des Landes stellen die Bewohner und deren Regierung jedoch vor
besondere Herausforderungen.
So z. B. können die Kleinwasserkraftwerke in Uliastai oder anderswo nur fünf
Monate im Jahr laufen, ansonsten herrschen winterliche Verhältnisse und
Vereisung.
Es kommt darauf an, die Lebensqualität, die die technischen Errungenschaften des
21. Jahrhunderts bieten, nicht nur den Menschen in der Hauptstadt, sondern auch
denen auf dem Land zu ermöglichen.
Nicht immer einfach.
Die Mongolei ist
ein Transformationsland und diese Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen.
„Wir werden unsere allseitige Unterstützung fortsetzen", betont der Botschafter.
Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 4.150 USD pro Kopf liegt die Mongolei beim
Bevölkerungsentwicklungsindex (HDI) inzwischen auf dem 90. Platz von 188
Ländern.
Bis heute hat Deutschland sein asiatisches Partnerland mit einer halben
Milliarde Euro unterstützt.
Die deutsch-mongolischen Entwicklungszusammenarbeit konzentriert sich auf die
Förderung der Energieeffizienz, den Schutz der natürlichen Ressourcen und die
nachhaltige Nutzung der Rohstoffe.
Die Frage der Nachhaltigkeit von Projekten der internationalen oder bilateralen
Entwicklungszusammenarbeit sei nicht mit ja oder nein zu beantworten, weist der
Botschafter auf die Komplexität dieser Problematik hin.
Die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) habe seit Beginn der
Transformationen in der Mongolei, zunächst in „Feuerwehreinsätzen", mit dafür
gesorgt, dass das Licht nicht ausging, dass Menschen nicht erfroren sind.
25 Jahre sind die Elektroenergie- und Wärmekraftwerke mit deutscher Hilfe
erfolgreich gelaufen.
Zwei Drittel der Energie des Landes liefere immer noch das Wärmekraftwerk Nr. 4
in der Nähe des internationalen Flughafens von Ulaanbaatar.
Wichtig sei es nach wie vor, die vorhandenen Kraftwerke zu optimieren durch
Erhöhung des Wirkungsgrads und bessere Isolierung.
Aktuell sind in
den Berufsausbildungszentren zehn deutsche Handwerksmeister aus dem Bau-,
Holzverarbeitungs-, Metall- und Elektrikergewerbe tätig.
Während die Zusammenarbeit im Hochschulbereich immer schon gut war, erfahren die
handwerklichen Entwicklungshelfer in der Hauptstadt und in den Aimags seit
einigen Jahren besondere Aufmerksamkeit und Dankbarkeit.
An den Schulen mit Deutschunterricht unterrichten im Rahmen des Projekts
„Kulturweit" des Auswärtigen Amtes regelmäßig fünf bis acht junge Hilfslehrer
aus Deutschland.
Die bilaterale Wissenschafts- und Kulturkooperation hat im Laufe der Jahrzehnte
ein hohes Niveau erreicht.
Im Zuge der gemeinsamen erfolgreichen archäologischen Forschungen in Karakorum
und Khar Balgasun ist im Mai die Plattform des großen Tempels als
Freilichtmuseum in der alten mongolischen Hauptstadt eröffnet worden.
Solche Attraktionen fördern den in- und ausländischen Tourismus in der Mongolei
und tragen zum gegenseitigen Kennenlernen und Verstehen bei.
Überhaupt hat
uns unser zeitweiliges Gastland in kultureller Hinsicht nicht enttäuscht.
Die Qualität der Opern- und Ballettaufführungen lässt wenige Wünsche offen.
Gerne haben wir auch die Aufführungen der renommierten Folkloreensembles der
Mongolei besucht.
Eigens erwähnen möchte ich die erfolgreiche Arbeit des Goethe-Musiklabors in
Ulaanbaatar.
Im September 2014 gestartet, bietet es für 30 Studenten Unterricht in den
Musikrichtungen Blues, Rock und Pop, Latin und Jazz, aber auch in Arrangement,
Improvisation, Ensemble und Big Band.
Gleichzeitig unterstützen die Mitarbeiter des Musiklabors die Aus- und
Weiterbildung der Lehrkräfte am Tanz- und Musikcollege in Ulaanbaatar.
Hohe Visazahlen
und eine vielfältige Besuchsdiplomatie zeugen von einem dichten Beziehungsnetz
zwischen den beiden Ländern und ihren Bürgern.
Bundeskanzlerin Angela Merkel werde zum ASEM-Gipfel Mitte Juli erwartet.
„Der Staatsbesuch von Bundespräsident Joachim Gauck im Oktober 2015 gehörte ganz
sicher zu den Höhepunkten meiner Amtszeit in Ulaanbaatar und ebenso die
Veranstaltungen zum 40-jährigen Jubiläum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen
zwischen der Bundesrepublik und der Mongolei im Jahr 2014".
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat dieses Jubiläum ebenfalls mit
einem offiziellen Besuch in Ulaanbaatar gewürdigt.
Sowohl in der Mongolei als auch in Deutschland ging es nicht nur um das
Zelebrieren bloßer Gedenkveranstaltungen.
Wissenschaftliche Konferenzen und Seminare über die Ergebnisse und Perspektiven
gemeinsamer Forschungen zu Archäologie, Geschichte und Sprache zählten genauso
dazu wie Konzertreisen oder der Deutsch-Mongolische Renntag in
Berlin-Hoppegarten im Juni 2014.
Kürzlich nahm die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag Gerda
Hasselfeldt die Gelegenheit wahr, während ihres Aufenthalts hier die Ausstellung
„Eiskurgane des Mongolischen Altai – Pazyryk-Kultur der Mongolei" im
Nationalmuseum mit zu eröffnen.
Bis zur
Eröffnung der Botschaft der Bundesrepublik in Ulaanbaatar am 02./03. Oktober
1990 wurden die diplomatischen Geschäfte zwischen der Mongolei und Deutschland
durch Doppelakkreditierung zunächst von Tokio, später von Moskau aus betreut,
eine Vertretung in Ulaanbaatar gab es bis 1990 nicht.
So wurde das ehemalige DDR-Botschaftsgebäude in der Straße der Vereinten
Nationen in Ulaanbaatar als Sitz der nun gesamtdeutschen Botschaft weiter
genutzt.
Die mongolischen
Diplomaten und Diplomatinnen sind gut ausgebildet und profiliert, zeigen
Engagement und Kompetenz auf internationalem Parkett.
Nicht selten unterstützen sich Deutsche und Mongolen gegenseitig in
multilateralen diplomatischen Fragen, z.B. bei den Vereinten Nationen.
Außerdem stellen die mongolischen Streitkräfte eine Infanterie-Kompanie zur
Unterstützung der deutschen Bundeswehr-Mission in Afghanistan.
Auf die Frage,
wie er die wirtschaftliche und politische Situation in der Mongolei einschätzt,
antwortete der Botschafter, eine Krise durchlebe das Land nicht.
Die politische Mongolei sei eine lebendige diskutierfreudige Gesellschaft.
Der Wahlkampf um die Stimmen der Bürger zu den bevorstehenden Wahlen zur Großen
Staatsversammlung und den Kommunalparlamenten am 29. Juni würden das
eindrücklich bestätigen.
Demokratische Wahlen, deren Ergebnis sich erst mit der Stimmauszählung ergebe,
zeichnen eine Demokratie aus.
Die Entscheidungen über das Wahlrecht - Verhältnis oder Mehrheit oder Gemischt –
sei allein Sache der Mongolen.
„Wir sind Gäste und Beobachter im Lande".
Auseinandersetzungen um Programme und Personen sind in einer Demokratie normal.
Jede Demokratie lebt vom argumentativen Ringen um Ziele.
Betonen möchte
ich, dass unsere beiden Länder nicht nur wirtschaftliche, kulturelle oder
politische Kooperation verbindet.
Uns verbindet darüber hinaus auch eine Wertepartnerschaft.
Der mongolischen
Wirtschaft geht es allerdings tatsächlich nicht so gut.
„Das ist zum Teil objektiven Faktoren (Preisverfall bei Rohstoffen auf dem
Weltmarkt, insbesondere durch die Wirtschaftskrise in China, das der wichtigste
Abnehmer mongolischer Rohstoffe ist) geschuldet.
Eine konstruktive Politik von mongolischer Regierung und Parlament sei jedoch
nötig, um einen Weg aus der Problemlage zu finden, die Mongolei als
internationalen Geschäftspartner wieder attraktiver zu machen.
MO: Herr
Botschafter, gestatten Sie zum Abschluss noch zwei Fragen.
Gab es etwas in der Mongolei, was Sie nicht so begeistert hat?
Th.: Im Winter ist
es wirklich sehr kalt und die Luft über Ulaanbaatar leider sehr verschmutzt.
Die Straßen und Gehwege sind oft spiegelglatt, ein Fortkommen erfordert höchste
Konzentration.
MO: Nach dem
ASEM-Gipfel verlassen Sie Ulaanbaatar, um direkt nach Wellington (Neuseeland) zu
reisen, wo Sie Ihren neuen Botschafterposten
antreten werden.
Bedauern Sie, die Mongolei verlassen zu müssen?
Th.: Auch
Diplomaten sind Nomaden.
Ein neues Land gilt es zu entdecken, neue Menschen kennenzulernen.
Das ist mein Beruf, den ich nun schon seit einigen Jahrzehnten gern und mit
Leidenschaft ausübe.
MO: Herr
Thiedemann, wir danken Ihnen für das offene und informative Gespräch und
wünschen Ihnen und Ihrer Familie für die Zukunft alles Gute.
Das Gespräch
führte Renate Bormann am 21. Juni 2016 in der Deutschen Botschaft in Ulaanbaatar.
Fotos, wenn nichts
anderes vermerkt, Renate Bormann