Der Praesident der Mongolei, Punsalmaagiin Otschirbat, und
Frau Sharawyn Zewelmaa statteten der Bundesrepublik Deutschland vom 18. bis 21. September
1995 einen offiziellen Besuch ab.
Empfang in der Villa Hammerschmidt
Bundespraesident Roman Herzog hielt anlaesslich eines
Abendessens zu Ehren des Praesidenten der Mongolei, Punsalmaagiin Otschirbat, und Frau
Sharawyn Zewelmaa in der Villa Hammerschmidt in Bonn am 18. September 1995 folgende
Ansprache:
Herr Praesident, verehrte gnaedige Frau,
es ist mir eine grosse Freude, Sie, auch im Namen meiner
Landsleute, bei uns willkommen zu heissen. Wir fuehlen uns geehrt, dass der erste frei
gewaehlte Praesident der Mongolei seine erste Europareise bei uns in Deutschland beginnt.
Ich raeume gern ein, dass an meiner Vorfreude auf Ihren
Besuch auch ein guter Teil menschlicher Neugierde mitspielt. Die Menschen Ihres Landes,
ihre Geschichte, Kultur und Lebensform faszinieren uns Deutsche. Wie ich hoere, wird
dieses Interesse von den Mongolen lebhaft erwidert.
Das mag verwunderlich scheinen, denn die geographische
Entfernung zwischen unseren Laendern ist gross. Man koennte daher meinen, die Unterschiede
seien so gross, dass es eigentlich niemanden erstaunen muesste, wenn wir uns gegenseitig
kaum zur Kenntnis naehmen.
Deutschland gehoert zum judaeo-christlichen, Ihr Land zum
lamaistisch-buddhistischen Kulturkreis. Das natuerliche und das kulturelle Umfeld haben
die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen unserer Laender ueber die
Jahrhunderte in doch sehr unterschiedlicher Weise gepraegt.
Ein Industrieland wie Deutschland, das die Nutzung jedes
Fussbreits seines knappen Bodens regeln muss, und ein relativ duenn besiedeltes Agrarland
wie die Mongolei, in dem die Ueberwindung der riesigen Entfernungen selbst im Zeitalter
der Autos und Flugzeuge ein Problem darstellt, muessen unterschiedliche Formen des
Zusammenlebens, des Wirtschaftens, der Kommunikation und der Kultur entwickeln.
Wenn uns in Deutschland die rationale Begruendung fuer die
gegenseitige Attraktion zwischen Menschen und Voelkern schwer faellt, dann sagen wir oft:
Gegensaetze ziehen sich an. Das macht sicherlich einen Teil der deutsch-mongolischen
Freundschaft aus. Den anderen Teil erklaert der Blick weit zurueck in die Geschichte, als
Ihr Volk, Herr Praesident, uns 1241 bei Liegnitz staunendes Fuerchten lehrte. Seither
ranken sich bei uns viele Legenden um die maechtigen Herrscher der Mongolei, um ihre
wagemutigen und furchtlosen Menschen, um die weltweit bestaunten Meister der Reitkunst und
um die hohe mongolische Kultur.
Ihr heutiger Besuch bei uns laesst jedoch nicht nur diese
historischen Erinnerungen aufleben. Er ist vor allem Ausdruck eines gemeinsamen Neubeginns
fuer unsere beiden Laender, des gemeinsamen Erlebens neuer Moeglichkeiten und
Herausforderungen. Der tiefgreifende politische Wandel, der sich seit der Mitte des
vorigen Jahrzehnts in der damaligen Sowjetunion anbahnte, wurde von den Deutschen im Osten
unseres Landes und vom mongolischen Volk gleichermassen als Chance verstanden und beherzt
2enutzt, um sich vom Joch eines fremden Systems zu loesen.
Aus unserer eigenen Erfahrung" die so frisch ist wie die
Ihre, wissen wir: Die Befreiung von einem abgewirtschafteten Regime macht zwar den Weg,
frei fuer ein neues System. Doch die Aufbauarbeit beginnt dann erst. Sie ist voller Muehe
fuer Kopf und Haende und auch nicht frei von Rueckschlaegen und Enttaeuschungen. Gerade
deshalb bewundern wir, wie unbeirrt die Mongolei durch schwierige Begleitumstaende auf dem
neuen Wege voranschreitet und wie sie Mut schoepft aus den ersten politischen und
wirtschaftlichen Erfolgen.
Gerade weil wir diese Anstrengung des mongolischen Volkes und
seiner demokratischen Regierung hoch achten, bemuehen wir uns nach Kraeften zu helfen. An
der Groesse ihrer Bevoelkerung, gemessen ist die Mongolei seit der Wende zu einem
bedeutenden Zielland deutscher entwicklungspolitischer Zusammenarbeit geworden. Im
Einvernehmen mit der mongolischen Regierung konzentrieren wir unsere Anstrengungen auf
zukunftsorientierte Bereiche, also auf Projekte, die dem Aufbau einer angemessenen
Infrastruktur und dem Wandel von der zentralgelenkten zur Marktwirtschaft foerderlich
sind.
Dabei teilen wir gern mit Ihnen unsere eigenen Erfahrungen,
die wir in unseren neuen Bundeslaendern machen. Wir wissen, wie wichtig zum Beispiel die
Gruendung kleinerer und mittlerer Unternehmen ist. Das wollen wir in unsere Foerderung,
einbeziehen. Auch bemuehen wir uns, gemeinsam mit Ihnen bodenstaendige Formen des
Wirtschaftens mit den Erfordernissen des neuzeitlichen Welthandels in Einklang zu bringen.
Vor allem wissen wir uns in einem Punkt mit Ihnen einig: Die Modernisierung der Mongolei
darf einen ihrer wertvollsten Schaetze nicht beschaedigen, naemlich ihre grossartige Natur
und ihre heile Umwelt.
Es gibt einen weiteren Grund, warum wir uns in der
wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit mit der Mongolei besonders engagieren:
Ueber Jahrzehnte war Ihr Land ein Schwerpunktbereich der entwicklungspolitischen
Aktivitaet der ehemaligen DDR. Auch diese ist ein Teil der deutschen Geschichte und der
deutsch-rnongolischen Beziehungen, den ich in keiner Weise uebersehen moechte.
Viele Mongolen haben in der froheren DDR ihre Ausbildung
erhalten und solide Kenntnisse der deutschen Sprache in ihre mongolische Heimat mit
zurueckgenommen. Zwanzigtausend Mongolen sprechen muehelos deutsch, und ich bewundere sie
deshalb. Wir sehen darin eine gute Grundlage fuer die weitere Entwicklung der Freundschaft
und der Zusammenarbeit zwischen dem vereinigten Deutschland und der demokratischen
Mongolei. Durch die Gewaehrung von Stipendien und die Entsendung von Lektoren wollen wir
nach Kraeften dazu beitragen, diese Grundlage zu erhalten und zu staerken.
Hinsichtlich der Aussenbeziehungen Ihres Landes beobachten
wir mit Genugtuung, dass die Mongolei sich bemueht, durch eine aktive Politik des Dialogs
mit ihren grossen Nachbarn im Norden und Sueden sowie mit den neuen Staaten Zentralasiens
zu partnerschaftlichen und stabilen Beziehungen zu kommen, alte Spannungen durch neues
Vertrauen zu ersetzen. Das Asienkonzept der Bundesregierung zielt, wie Sie wissen, nicht
nur auf einen immer engeren Wirtschaftsaustausch mit Ihrem Teil der Welt. Wir streben
zudem an, dass die Seidenstrasse unserer Zeit auch dem politischen Dialog ueber
Zusammenarbeit und Vertrauensbildung innerhalb der Regionen und zwischen den Regionen
dient.
Die aktuellen Menschheitsprobleme lassen sich nur noch in
weltweiter Zusammenarbeit loesen, durch Kooperation zwischen Kleinen und Grossen, zwischen
Nachbarn ebenso wie zwischen weit voneinander entfernten Laendern. Der Einsatz der
mongolischen Regierung fuer die Nichtverbreitung atomarer Waffen ist ein wichtiger Beitrag
zu dieser gemeinsamen Befassung mit unseren globalen Problemen. Dafuer gebuehrt Ihnen
unsere besondere Anerkennung.
Ich wuensche Ihnen, Herr Praesident, Ihrer Frau und Ihrer Delegation einen erlebnisreichen, guten Aufenthalt in Deutschland. Ihr Besuch leistet einen wichtigen Beitrag zum Dialog zwischen unseren Laendern und unseren Regionen. Ich bitte Sie, verehrte Gaeste, mit mir das Glas zu erheben und anzustossen auf das Wohl des Praesidenten der Mongolei und seiner Gattin, auf die alte und neue Freundschaft zwischen unseren Voelkern sowie auf eine glueckliche Zukunft des mongolischen Volkes.
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