WORLDVISION-Kinderpatenschaften

Halt und Hoffnung für Tuguldur, Sorigt und andere Arme

-- von Hugo Kröpelin / Berlin –

Sie antworten einsilbig auf Fragen, aus den Augen der beiden Jungen sprechen Trauer und Unsicherheit, vielleicht auch Angst. Tuguldur (16) und Sorigt (12) sind Waisenkinder und sitzen am Tisch von Jan Felgentreu. Zu dem einstöckigen Haus von „Temuulel (Sehnsucht) 2" hat sie ein Angestellter der Bezirksstadt Suun Mod geschickt, nachdem sie im verrottenden Bau des früheren Kulturhauses von der Polizei aufgegriffen worden. Sie stammen aus dem fernen Gobi-Altai, wo die Familie im futterarmen und bitterkalten Frühjahr 2000 ihre Schaf- und Ziegenherde eingebüßt hat. Der Vater habe das nicht verkraftet und sich das Leben genommen. Mit der Mutter hätten sie sich auf den beschwerlichen Weg nach Ulan Bator gemacht und es fast geschafft, erzählen die Jungen. 60 Kilometer vor der Hauptstadt, in Suun Mod, war Endstation. Die drei schleppten sich in das leere Kulturhaus, wo die Mutter den Strapazen erlag.

Jan Felgentreu, deutscher Sozialarbeiter und seit fünf Jahren im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Entwicklungshilfe (AGEH) in der Mongolei, kennt solche Schicksale aus der Betreuung von Straßenkindern. Tuguldur und Sorigt konnte er bei entfernten Verwandten unterbringen, die für den Schulbesuch sorgen. Im Lagerraum von „Temuulel 2" ließ er sie einige Kleidungsstücke aussuchen. Diese stammen aus einem Spendentransport, den Bürger des Bodenseekreises geschickt hatten. Felgentreu hat als Sozialarbeiter in der „Oyuuntulkhuur-Stiftung", die auch Spenden aus Japan erhält, bei deutschen Wohlfahrtsorganisationen einen guten Ruf.

„Temuulel 1" gab es im Westen von Ulan Bator. Als die Stadt Haus und Gelände – ohnehin für die Kinder nicht gerade sicher - zurück haben wollte, kaufte die Stiftung dank der Spendenmittel von der Kolpingfamilie in Schwäbisch Gmünd vergangenen Sommer im Osten der Stadt ein Gelände mit Wohnhaus. Drei Monate später stand ein zweites Haus, errichtet von vier jungen „Temuulel"-Tischlern. Im Erdgeschoss ist Platz für Aufenthaltsraum, Schreinerei und Lager. „Die fünf ältesten Jungs wohnen in der oberen Etage", erzählt Jan Felgentreu. „Sie sind richtig stolz, in einem Haus zu leben, das sie selbst gebaut haben." – davon konnten sich erst im August Gäste von MISEREOR, einem sehr starken Partner der Stiftung, überzeugen.

Kompliziert schien die Aufnahme in die Schule diesem Ortsteils. „Frühere Straßenkinder bringen nicht denselben Bildungsstand mit wie Kinder, die in Familien aufwachsen", erläutert der Deutsche. „Doch dank dem Verständnis vieler Lehrer gelang es uns, fast alle Jungen und Mädchen in altersgerechten Klassen zu integrieren." Für die letzten beiden sei das überhaupt kein Problem gewesen, die kamen in die 1. Klasse. 14 Kinder gehen in die Schule, „und zwar im Schichtunterricht, was Teilung der Hausarbeit, aber auch viel gegenseitige Rücksicht und Disziplin verlangt".

Vor zwei Jahren zählte der Deutsche noch 23 Schützlinge. Drei Ehemalige haben seitdem in Familien zurück gefunden. „Einer hat sogar geheiratet", so Felgentreu. „Mit ihren technischen Fähigkeiten, Ausbildung und Erfahrung sind sie inzwischen Stützen ihrer Familien geworden." Für drei Mädchen haben die mongolischen Sozialpädagogen und Felgentreu nach der 8. Klasse Lehrstellen als Köchin, Näherin und Informatikerin/ Grundkurs organisiert. „Temuulel 1" läuft sicher Richtung Hauptziel: die einstigen Straßenkinder sollen befähigt werden, selbst ihre Zukunft zu gestalten, und möglichst in ihre Familien zurück kehren oder eigene gründen.

„Temuulel 2" gibt es erst seit vorigem April. Sein Standort Suun Mod ist das Zentrum des Bezirks, der Ulan Bator umgibt. Dorthin, in die Metropole, zieht es viele, die in der Provinz ihre Arbeit verloren haben. Unter ihnen sind Hirten. Sie hatten Herden, die sie ganzjährig im Freien hielten. Doch der Winter 1999/2000 mit hohem Schnee und bis zu 35 Grad Frost vernichtete viele Hirtenexistenzen. Auch der aktuelle Winter verlangt von den Viehzüchtern wieder Übermenschliches. Zu befürchten ist, dass wieder viele aufgeben. „Wir möchten die Menschen, die durch den Bezirk ziehen, vor Ulan Bator bewahren", erläutert Jan Felgentreu das Ziel des zweiten Projekts. „Ihre Sehnsucht nach Arbeit und Obdach erfüllt sich dort meist nicht, vielen droht das Abdriften in die Kriminalität."

Suun Mod zählt etwa 12 000 Menschen, davon rechnen die Behörden etwa 800 Familien zu den Armen. Den ersten von ihnen hat „Temuulel" Hilfe zur Selbsthilfe angeboten. Nach der Beratung bei dem Deutschen entwickelten zwölf Familien Ideen für Existenzgründungen. Zusammen mit der örtlichen Verwaltung wurde Hilfe organisiert. Eine Frau, die eine Nähmaschine stehen hat, bekam Stoff, um Winterbekleidung nähen zu können. Eine andere Frau konnte einen Kiosk mieten, in dem sie jetzt Lebensmittel verkauft. Andere knüpfen Teppiche, fertigen Schuhe an, sogar eine Gaststätte wird von einer vorher armen Familie betrieben. „Die Förderung ist aber auch an Bedingungen geknüpft", berichtet Felgentreu. „Nur für den eigene Erwerb ! Nicht nach Ulan Bator abwandern ! Alle Kinder zur Schule schicken ! Teil des Gewinns wieder investieren !°"

Mit dem Schuldirektor vereinbarte der Deutsche, dass arme Kinder kostenlos Nachhilfe erhalten und in der Turnhalle der Schule Freizeitsport treiben können. Ein früherer Unterrichtsraum wurde zur Tischlerei.

Jüngst erwarb die „Oyuuntulkhuur-Stiftung einen seit sieben Jahren nicht genutzten Kindergarten. „Wenn Fenster, Heizung, Elektrik, Anstrich und einiges andere erneuert und repariert sind – dafür konnte Jan Felgentreu einen in Ulan Bator ansässigen deutschen Fachhandwerker chartern -, möchten wir hier ein multifunktionales Gemeindezentrum einrichten", sagt Felgentreu. U.a. seien beabsichtigt eine Beratungsstelle für Arme, arbeitslose Jugendliche und alleinstehende Mütter sowie Kurse zu Familien- und Berufsplanung. In diesem Haus sollen Sprach- und Computerkurse stattfinden und Arme medizinisch behandelt werden. Im kommenden Frühjahr soll Einzug sein.

Quelle: mit freundlicher Genehmigung von Hugo Kröpelin, News Stories Photos aus Berlin und Brandenburg
(Juli 2001)


   

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Last Update: 03. Januar 2022