Die Deutsche Mongolei Agentur aus Ulaanbaatar präsentiert:
von Dr. Renate Bormann, Ulaanbaatar
Hochzeitsgesellschaft vor dem Sukhbaatardenkmal. 20.02.08
Präsidentenveto gegen Amnestiegesetz
Präsident N. Enkhbayar hat gegen Teile des
Straffreiheitsgesetzes für Steuerschuldner sein Veto eingelegt. Straffreiheit
auch im Falle der Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zuzusichern,
widerspreche Bestimmungen der Verfassung, außerdem könne nicht so ohne Weiteres
die Pflicht zur Einhaltung der Steuergesetze negiert werden.
Haushaltsausschussvorsitzender L. Purevdorj erklärte, das Abgeordnetenhaus müsse
spätestens 14 Tage nach Beginn der Frühjahrssitzungen über das Veto entscheiden.
Die Einberufung einer Sondersitzung sei nicht nötig.
Meinungsaustausch
Präsident N. Enkhbayar hat sich am 22.
Februar mit Spitzenvertretern der im Parlament vertretenen Parteien zu einem
Meinungsaustausch über die Änderungen am Bergbaugesetz und die
Investitionsabkommen getroffen.
Der Einladung waren die Vorsitzenden der Republikanischen Partei, B.
Jargalsaikhan, der Bürgermutpartei, S. Oyun*, der Partei des Volkes, L. Gundalai
und der Neuen Nationalpartei, Ts. Tsolmon, gefolgt. Die DP wurde von
Generalsekretär D. Dorligjav und dem Fraktionsvorsitzenden L. Gansukh vertreten.
Lediglich die Mutterlandpartei glänzte durch Abwesenheit.
Zugegen waren auch die Mitglieder der für das Gesetz zuständigen Arbeitsgruppe,
bestehend aus je vier Vertretern der DP und der MRVP, dem Ministerpräsidenten
und dem Minister für Industrie und Handel sowie der Vorsitzende des Großen
Staatskhurals, D. Lundeejantsan (alle MRVP).
*Lesen Sie ein Interview mit Frau Oyun im Anschluss an die Nachrichten.
Einheitliche Lehrbücher für die allgemeinbildenden
Schulen
Einem Erlass des Bildungsministeriums
zufolge sollen in Zukunft an den Schulen nur einheitliche Lehrbücher für die
einzelnen Fächer verwendet werden.
In den letzten Jahren nutzten die Schüler, internationalen Beispielen folgend,
unterschiedliche Lehrbücher. Bei Schulwechsel erwies sich das als hinderlich,
aber auch bei der Durchsetzung einer einheitlichen Bildungspolitik.
Gegenwärtig bereitet das Ministerium die Erarbeitung der Lehrbücher für die
Sechsjährigen vor.
V.l. D. Barcelona, B. Desmoulins, R. Hagan, P. Mehta, S. Oyun, Baatar, Sh. Noda.
19.02.08
Beratung über Ergebnisse und Perspektiven des
UNO-Entwicklungshilfeprogramms
Am 19. Februar trafen sich die
Repräsentanten internationaler und nationaler Organisationen der
Entwicklungszusammenarbeit zu ihrer jährlichen Rechenschaftslegung.
Gleichzeitig diskutierten die Teilnehmer die vorgelegten Pläne für 2007 bis
2011.
In ihren Grußworten lobten Außenministerin Sanjaasurengiin Oyun und die
UNO-Repräsentantin in der Mongolei, Pratibha Mehti, die Arbeit der Mitarbeiter
in den einzelnen Projekten.
Ch. Baatar, der Leiter der Abteilung multilaterale Zusammenarbeit im
Außenministerium, legte den Rechenschaftsbericht bzw. stellte das Rahmenprogramm
der UN-Entwicklungshilfe 2007 bis 2011 vor (Armutsreduzierung, Demokratie und
Menschenrechte, Umwelt, Süd-Süd-Zusammenarbeit, Handel und
Handelserleichterungen).
An der Veranstaltung im Außenministerium nahmen u. a. die Vertreter der WHO,
Robert Hagan, des UN-Bevölkerungsfonds, Delia Barcelona und von UNICEF, Bertrand
Demoulins, teil.
V. Parteitag der Bürgermutpartei
800 Delegierte aus den 21 Aimags und den
neun Stadtbezirken (Duureg) Ulaanbaatars werden sich am 09. März zum V.
Parteitag der Bürgermutpartei (Zivilcouragepartei) in Ulaanbaatar versammeln.
Die Delegiertenauswahl in den Grundorganisationen der Aimags, Sums und Duuregs
soll bis zum 28. Februar abgeschlossen sein. In zehn Aimags und vier Duuregs
erfolgte die Delegiertenwahl bereits bis zum 21.02.
„Partei für die Frauen" gegründet
„Mehr Frauen in die Politik", dieser
Forderung könne nur entsprochen werden, wenn die Frauen eine eigene politische
Partei gründen. Bisher sind Frauen öffentlich hauptsächlich in
Nichtregierungsorganisationen aktiv geworden, die Hoffnung, über diese mehr
politischen Einfluss zu gewinnen, habe sich nicht erfüllt.
Initiatorin und Parteivorsitzende ist die Sozialpsychologin B. Sarantsetseg.
Bisher zählte die Partei 400 Frauen in Ulaanbaatar und in den Aimags zu ihren
Befürwortern, so Narantsetseg auf einer Presseveranstaltung am 21. Februar.
Männer seien als Berater zugelassen, jedoch nicht als Mitglieder.
An den Parlamentswahlen im Juni will sich die neue politische Partei mit vier
bis fünf Kandidaten beteiligen.
Muss Khongor umgesiedelt werden?
Bei der Rechenschaftslegung des Ausschusses
für Sicherheit und Außenpolitik ging es am 20.02. hauptsächlich um die Situation
in Khongor (Darkhan-Uul-Aimag).
Eine internationale Expertengruppe arbeitet zurzeit an Ort und Stelle, um Haar-
und Urinproben von ausgesuchten Bürgern (15- bis 35-jährige Frauen, über
35-Jährige) zu nehmen.
Obwohl in jüngster Zeit keine Beeinträchtigungen des Bodens, des Wassers und der
Luft mehr festgestellt wurden, werden immer noch behinderte Kinder geboren,
Tiere sterben, Einwohner kommen mit schweren Hauterkrankungen nach Ulaanbaatar,
da ihnen in Khongor nicht mehr geholfen werden kann.
Die Ausschussvorsitzende B. Munkhtuya (DP) hat eingeräumt, dass unter der
vorherigen Regierung die Situation falsch eingeschätzt und falsche Angaben
verbreitet wurden.
Der neue Regierungschef hat dafür um Entschuldigung gebeten und die o. a.
Maßnahmen eingeleitet.
Am 19. März wird die internationale Expertengruppe ihre Arbeit beendet haben und
wir hoffen dann, endlich Klarheit darüber zu haben, ob und in welchem Maße
Khongor geschädigt ist und ob eine Umsiedlung des Ortes nötig werden wird, so
Munkhtuya weiter.
Hohe Viehverluste
Die Frühlingsfeiern sind vorbei, der Winter
hat die Mongolei in Teilen immer noch im Griff.
Besonders in den Aimags Sukhbaatar, Bayan-Ulgii, Uvurkhangai, Zavkhan und Uvs
haben die seit Dezember andauernden Minustemperaturen zwischen 30 und 50 Grad
den Winterweidegang erschwert. Allein in den ersten zehn Februartagen sind 120
000 Stück Vieh verendet. Im Januar waren es 49 700 Tiere, davon 20 000 Ziegen,
15 300 Schafe, 9 300 Rinder, 5 000 Pferde und 60 Kamele.
Akademievollversammlung
An der ersten Sitzung der Akademie der
Wissenschaften der Mongolei am 21. Februar im Regierungspalast nahmen 41 von 56
Akademiemitgliedern teil.
Nachdem D. Regdel den Rechenschaftsbericht über die Arbeitsergebnisse des
vergangenen Jahres verlesen hatte, überreichte Staatspräsident N. Enkhbayar an
Akademiepräsident B. Chadraa ein Schreiben mit der Forderung an die Akademie,
den seit 1989 nicht mehr veröffentlichten Nationalatlas sowie die
Allgemeinenzyklopädie neu herauszugeben.
Menschenhandel
In den letzten Tagen rückte ein Thema in
den Focus der mongolischen Öffentlichkeit, das seit Beginn der neunziger Jahre
immer einmal für Schlagzeilen sorgte, aber schnell wieder in Vergessenheit
geriet: Menschenhandel. Die Opfer sind meist junge Frauen, die wiederum in den
meisten Fällen zur Prostitution im In- und Ausland gezwungen werden.
Nachdem sich die Stiftung „Nutgiin Shiidel" und einige Frauenorganisationen an
die Presse gewandt hatten, beriefen das Polizeipräsidium und die Staatliche
Ermittlungsbehörde eine Pressekonferenz ein, um über die aktuelle Situation zu
informieren.
Demnach wurden seit Beginn 2007 bis Februar 2008 150 Frauen und Mädchen
vermisst, von denen die Polizei 141 ausfindig machen konnte. Unter den noch
Vermissten neun Frauen sind eine 14-Jährige, zwei 16-Jährige und drei
17-Jährige.
Nach Tsagaan Sar verschwanden zwei Mädchen, von denen eine, Oyunbileg, bisher
gefunden werden konnte. Von Enkhdagina fehlt nach wie vor jede Spur.
Oyunbileg wurde von der Straße weg mit Gewalt in ein Auto gezerrt. In diesem
Zusammenhang wurde ein verdächtiger mongolischer Staatsbürger festgenommen.
Die Polizei hat Erkenntnisse darüber, dass ein internationales Netzwerk von
kriminellen Banden am Werk ist, das junge Frauen überreden oder entführen lässt,
um sie zur Prostitution zu zwingen. Sie werden in Hotels oder Wohnungen gebracht
und in den meisten Fällen Ausländern „angeboten". Nach einiger Zeit lässt man
die Opfer wieder frei.
Die Polizei bestätigte, dass in den ersten beiden Monaten des Jahres 81 Frauen
vermisst wurden, 72 hat die Polizei inzwischen gefunden. Der Leiter der
Presseabteilung des Polizeipräsidiums hat die politischen Parteien davor
gewarnt, diese äußerst ernste Angelegenheit für politische Zwecke und im
Wahlkampf zu missbrauchen.
Zu den Ursachen dafür, dass Mädchen von zu Hause weglaufen oder gar „verkauft"
werden, zählen in erster Linie Armut und zunehmende Gewalt in den Familien.
Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Mongolei immer mehr ein Land des
Sextourismus geworden ist.
Der Demokratische Frauenverband fordert entsprechende Gesetzesreformen, um
effektiver gegen Menschenhandel und damit im Zusammenhang stehende kriminelle
Machenschaften vorgehen zu können.
Drillingsgeburt in Ulaanbaatar
In der Nacht zum 14. Februar brachte D.
Tuul auf der Entbindungsstation im Mutter-und Kind-Forschungszentrum in
Ulaanbaatar Drillinge – drei Mädchen – zur Welt.
Sie und ihr Mann Togtokhbayar stammen aus dem Javkhalant-Sum im Selenge-Aimag.
Am 17. Februar stellten sich die stolzen Eltern mit den 1,9, 2,3 und 2,4 kg
„schweren" Mädchen zum ersten Mal der Öffentlichkeit. Eine Abordnung aus dem
Javkhalant-Sum mit dem Sum-Vorsitzenden Nyamsuren an der Spitze gratulierte und
brachte Geschenke.
Tuul und Togtokhbayar sind bereits Eltern von zwei Jungen und zwei Mädchen. Der
älteste Sohn der Familie ist 19 Jahre, der jüngste fünf Jahre alt.
Teenagerschwangerschaften nehmen wieder zu
Auf einer Pressekonferenz im
Informationszentrum des Presseinstituts in Ulaanbaatar informierten
Mitarbeiterinnen des Mutter-Kind-Forschungszentrums über Geburtenzahlen,
Müttersterblichkeit und zunehmende Schwangerschaften sehr junger Mädchen.
Erfreulich sei es, dass nach Jahren des Geburtenrückgangs wieder mehr Babys
geboren werden. Im vergangenen Jahr waren es landesweit 55 000, davon 24 000 in
Ulaanbaatar. Allein im Januar 2008 erblickten 5 100 neue mongolische Erdenbürger
das Licht der Welt, 1 200 mehr als im Vergleichszeitraum 2007. Allerdings sei
die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nach wie vor hoch.
Sorgen bereiteten auch die Schwangerschaften junger Mädchen im Alter zwischen 12
und 16.
Waren das im Jahr 2006 noch 100 stieg diese Zahl im vergangenen Jahr auf 250.
Ts. Oyunbaatar. 20.02.08
Kamelkarawane 2008
Am 21. Februar startet in Khanbogd, im
Südgobiaimag, die Kamelkarawane 2008.
Sie führt über Dalanzadgad, Bayanzagd nach Mandal Ovoo, wo die „Karawane der 100
Kamele" am 07. März erwartet wird. Danach geht es am 01. November weiter nach
Saikhan Ovoo über Arvaikheer nach Khujirt. Am 12. November wird die Karawane
nach rund 1 000 Kilometern Kharkhorin (Karakorum) erreichen.
Auf einer Pressekonferenz berichteten der Vorsitzende des Kamelpoloverbandes der
Mongolei, Ts. Oyunbaatar, der geschäftsführende Direktor, Ts. Mijigdorj und B.
Suvd, die Generaldirektorin des Trachtenmuseums, über die Vorhaben beim
diesjährigen „Temeeny Naadam" (Kamelfestival).
Zum sechsten Mal seit 2002 organisieren die Gobientwicklungsstiftung, der
Kamelpoloverband und das Trachtenmuseum das Temeeny Naadam mit Kamelrennen,
Modenschauen, Kamelhirten-Reality Shows, Gedicht- und Schönheitswettbewerben.
30 Mannschaften aus fünf Aimags, der Inneren Mongolei und Ulaanbaatar wetteifern
um das schnellste Kamel, das beste kastrierte Kamel (atan temee), die beste
Kamelstute (inge), das bestangezogene Kamelhirtenpaar. Außerdem wird der Sum mit
den meisten Kamelen gewürdigt.
Die Veranstaltungen sollen helfen, die Bedeutung der Kamele für die
Volkswirtschaft der Mongolei stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung und der
Politik zu rücken, den Kamelbestand zu schützen und zu erweitern. Dafür seien
ein besseres Management der Halter und entsprechende Gesetze nötig.
Im Herbst wollen die Gobiaktivisten einen Gesetzesvorschlag einbringen, der
vorsieht, die Kamelhaltung von Steuern zu befreien, Milchprodukte effektiv zu
bewerben und die Kamelfleischpreise zu erhöhen. Außerdem sollen die Profite des
Bergbaus zu denen der Kamelhaltung ins Verhältnis gesetzt werden: Ein Kilogramm
Kamelwolle bringt auf dem Markt 10 000 Tugrug.
Der Einsatz der o. g. Organisationen gilt vor allem der Verbesserung der
Lebensbedingungen der Gobibewohner. An den Erträgen des Bergbaus in ihrer Region
sollten sie weitaus stärker als bisher beteiligt werden.
Weiter geplant sind die Errichtung eines Kamelsportkomplexes in der Nähe
Ulaanbaatars und für 2010 eine Kamelkarawane „Auf den Spuren Marco Polos" von
Venedig nach Kharkhorin.
In der Mongolei leben noch 250 000 zweihöckrige Kamele, mehr als die Hälfte der
Weltpopulation. 1954 waren es noch 895 300!
Kamele werden immer seltener
Neueröffnung des Shukow-Museums
Anlässlich des 90. Jahrestages der Gründung
der russischen Streitkräfte wurde am 22. Februar nach aufwendigen
Renovierungsarbeiten das Marschall-G. K.- Shukow-Museum in Ulaanbaatar
wiedereröffnet.
An der feierlichen Eröffnungszeremonie nahmen der Minister und stellvertretende
Minister für Verteidigung der Mongolei, S. Batkhuyag und S. Baasankhuu sowie die
Armeegeneräle M. A. Moiseew, die Kriegsveteranen (Khalkhyn Gol) F. F.
Gaivoronskii und V. V. Korobushin teil.
Fjodor Gaivoronskii zeigte sich sehr bewegt. Nach 69 Jahren war er zum ersten
Mal wieder in der Mongolei. „Unsere Freundschaft hat alle Widrigkeiten
überstanden. Es ist überwältigend, die Zeugnisse unserer erfolgreichen
gemeinsamen Kämpfe sorgfältig aufbewahrt zu sehen und alte Kampfgefährten zu
treffen."
Jagvaralyn Otgondavaa ist tot
Der Journalist und Fotograf J. Otgondavaa
ist am 17. Februar 2008 nach langer schwerer Krankheit gestorben. Er wurde nur
41 Jahre alt.
Otgondavaa gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Demokratischen Bundes, war
Leiter der Revisionskommission des Vereinigten Journalistenverbandes und
Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Deedsiin Amdral".
Die Medienschaffenden der Mongolei und die politisch aktiven Kräfte sind sich
einig, mit Otgondavaa hat die demokratische Mongolei eine mutige, kämpferische
Stimme verloren.
Seine Fotos – Porträts und Aufnahmen vom Leben in allen Teilen des Landes -
wurden mehrmals ausgestellt und mit Preisen bedacht.
Otgondavaa wurde mit dem Orden der Freien Presse, dem „Goldenen Stern" des
Demokratischen Bundes, als Verdienter Journalist und anderen Auszeichnungen
geehrt.
Seine Fröhlichkeit und Freundlichkeit wird uns fehlen.
R. B.
Das Interview mit S. Oyun wurde ursprünglich für die vierte Ausgabe der in Berlin erscheinenden mongolisch-deutschen Zeitschrift „Super Nomad" aufgezeichnet. Diese war für Juli 2007 vorgesehen. Neuer Erscheinungstermin soll nach Auskünften des Chefredakteurs D. Batjargal Ende März 2008 sein. R.B.
Interview mit Dr. Sanjaasurengiin Oyun,
Mitglied des Großen Staatskhurals, Vorsitzende der Bürgermutpartei, Vorsitzende
der Zorig Foundation und seit Dezember 2007 Außenministerin in der Regierung S.
Bayar
Ulaanbaatar, 20. Juni 2007
1. Biographisches
Herkunftsort, Familie
„Ich bin ein Kind Ulaanbaatars. Hier bin
ich geboren und aufgewachsen".
Nach dem Abschluss der 23. Schule in der mongolischen Hauptstadt und einem
erfolgreich absolvierten Geologiestudium an der Karlsuniversität Prag hat S.
Oyun einige Jahre in Ulaanbaatar gearbeitet, ehe sie in Großbritannien an der
Universität Cambridge in Geologie promovierte.
Danach begann sie im britischen Unternehmen „Rio Tinto" zu arbeiten.
Ihr Vater Sanjaasuren, ein Hochschullehrer, stammt aus dem Dornod-Aimag, aus
einem der drei burjatischen Sums. Er starb, als Oyun noch zur Schule ging. Ihre
Mutter Dorjpalam, eine Ärztin, erlangte in jungen Jahren Berühmtheit als
Darstellerin einer Medizinerin in einem mongolischen Kinofilm.
Oyuns Großvater mütterlicherseits kam Anfang des 20. Jahrhunderts aus Russland
in die Mongolei. In den „dunklen" 30-er Jahren wurde er vom KGB verhaftet, nach
Russland verschleppt und ermordet.
Oyun hat zwei ältere Brüder. Einer arbeitet als Journalist, der andere, S. Zorig,
Mitbegründer der demokratischen Bewegung in der Mongolei, Infrastrukturminister
und als Ministerpräsident im Gespräch, wurde im Jahr 1998 ermordet. Dieser Mord
gilt als größtes politisches Verbrechen in der jüngeren Geschichte der Mongolei.
S. Oyun ist verheiratet und Mutter eines Sohnes.
2. Sie sind Geologin, haben an der Universität gearbeitet? Was hat Sie daran gereizt, in die Politik zu gehen und damit an die Öffentlichkeit?
Der Grund, warum ich in die Politik gegangen bin,
hängt mit dem Mord an meinem Bruder zusammen. Eigentlich wollte ich danach mit
meiner Mutter nach Großbritannien ziehen, wo ich arbeitete. Während der
Beisetzungsfeierlichkeiten in Ulaanbaatar und nach vielen Jahren Abwesenheit
habe ich bemerkt, dass die mongolische Politik ein sehr ungesundes und
schmutziges Geschäft und mein Bruder ein Opfer in diesem Geschäft geworden war.
Als seine Partei zu mir mit dem Vorschlag kam, in seinem Wahlkreis zu
kandidieren, habe ich zugestimmt.
Nach einiger Zeit als Parlamentsabgeordnete habe ich immer besser verstanden,
was alles zu tun ist in der Politik. Meine Position zu festigen, habe ich vor
den Parlamentswahlen 2000 die Bürgermutpartei gegründet. Die mongolische Politik
sollte fairen Spielregeln folgen und von Unternehmen, Finanzen und kriminellen
Gruppierungen unabhängig werden, sonst werden alle Bemühungen in anderen
gesellschaftlichen Bereichen nutzlos und erfolglos sein und die Bürger nicht
erreichen. Hauptursache der ungesunden Politik ist die Korruption, deswegen muss
diese mit allen zu Gebote stehenden Mitteln bekämpft werden.
3. Ihre Funktionen? In welchen Ausschüssen arbeiten Sie mit?
Außer daran, meinen Wahlkreis und meine Partei zu
vertreten, arbeite ich in den Ständigen Ausschüssen des Parlaments mit. Mitglied
bin ich in den Ausschüssen für Außenpolitik und Soziales.
Im Vergleich mit der Parlamentsarbeit zwischen 2000 und 2004, als 72 MRVP -
Abgeordneten nur vier Oppositionelle gegenübersaßen, haben wir jetzt bessere
Möglichkeiten, die mit anderen ausgearbeiteten oder nur von mir vorgeschlagenen
Gesetzesentwürfe umzusetzen.
4. Die Mongolei genießt internationale Reputation, sie ist in internationalen Gremien weltweit und in der Region aktiv. Gerade sind zwei wichtige internationale Konferenzen in Ulaanbaatar zu Ende gegangen. Wie schätzen Sie die wirtschaftliche und politische Lage in der Mongolei ein?
Das stimmt, die ökonomische Lage ist besser
geworden. Aber wie die guten ökonomischen Kennziffern das wirkliche Leben der
Menschen verbessert haben, kann ich nicht sehen. Der Haushalt kann ausgeglichen,
ja sogar ein Plus aufweisen, die Währungs- und Goldreserven können gestiegen
sein. Die Außenhandelsbilanz kann positiv sein. Wahrscheinlich hängt das mit den
gestiegenen Weltmarktpreisen für Bodenschätze und Rohstoffe aus der Viehzucht
zusammen. Diese Ereignisse müssen nicht von Dauer sein, deshalb sollten wir sie
gut nutzen. Obwohl es die obengenannten positiven Statistiken gibt, können die
Menschen nicht von ihren fair verdienten Löhnen leben, ist die Armut überhaupt
nicht gesunken und ist die Arbeitslosigkeit immer noch hoch.
Ich denke, egal in welcher Gesellschaft, wenn es auf der politischen
Führungsebene nicht „anständig" zugeht, wird die Lage weder in der Wirtschaft
noch in anderen Bereichen besser werden.
In unserer Politik sollte man viele zweckmäßige Abgrenzungs- und
Kontrollmechanismen einführen, sonst verkommt die Politik zu einem sehr großen,
gewinnbringenden Geschäft.
Die Staatsmacht wird missbraucht für den eigenen Vorteil, für schmutzige
Geschäfte. Dieses Business, in dem die in alle Macht- und Regierungsebenen
eingedrungenen Gruppierungen tätig sind, ist sehr stabil, sie gehen sehr
trickreich vor.
Das ist die Innen-, nicht die Außenansicht der Mongolei.
5. Ihre Haltung zu einem möglichen Wechsel vom parlamentarischen zum präsidialen Regierungssystem?
Natürlich, es gibt Kräfte im Verborgenen, die
diesen Wechsel wollen. Es gibt sogar öffentliche Gruppen, die als „Arme und
Beine" dieser Kräfte fungieren.
Ich denke, wir können vom parlamentarischen Regierungssystem nicht abrücken, das
hieße auf halbem Wege umkehren. Wir standen fast ein ganzes Jahrhundert unter
sowjetischem Einfluss. Es gibt anschauliche Beispiele der Länder Mittel- und
Zentralasiens, die sich von Russland gelöst haben. Man bezeichnet sie
komischerweise als Länder des „entwickelten Feudalismus". Ihr Beispiel kann uns
nicht als Wegweiser dienen. Wir müssen unseren Prinzipien und Werten treu
bleiben. Wir dürfen vor den Kräften, die Verantwortung fürchten, nicht in die
Knie gehen.
Der Parlamentarismus muss als die Seele der mongolischen Demokratie bewahrt
werden.
6. Bergbau, vor allem der illegale Goldbergbau mit
giftigen Substanzen, verursachen Umweltschäden, die sozialen Probleme der „Ninjas"
sind bisher nicht genügend beachtet worden.
Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie?
Zuerst möchte ich meine Meinung über die
Bergbauunternehmen äußern. Viele Jahre haben wir gedacht, es genüge, wenn
ausländische Investitionen ins Land fließen.
Ein Bergbaubetrieb errichtet ein Gebäude, aber darin werden keine Produkte
hergestellt. Er greift in unsere Natur ein, entnimmt ihr, was lohnenswert
scheint. Man zahlt ein paar Tugrug in den Staatshaushalt ein, einige Leute
finden für kurze Zeit einen Arbeitsplatz, verrichten einfache, schwere
Tätigkeiten.
Wir müssen darüber nachdenken, dass schon seit zehn Jahren Einheimische und
Fremde nach Gold graben, sie schädigen unsere Natur. Hat sich das Leben der
Mongolen dadurch verbessert?
Wir müssen die ausländischen Investitionen hinsichtlich ihrer technischen und
technologischen Werte sorgfältig prüfen. Dann müssen wir sehr hohe, sehr strenge
Kriterien dafür festlegen. Nicht nur im Bergbaubereich.
Sie kommen, in der einen Hand ein paar Tugrug, in der anderen Hand Quecksilber,
geben unseren Bürgern Arbeit und Lohn, nehmen unser Gold, verwüsten unsere Natur
und verschwinden wieder. Wir berichten dann darüber als Erfolg bei der Gewinnung
ausländischer Investoren.
Hohe technologische Standards müssen auch für die einheimischen Bergbaubetriebe
gelten. Man sollte Acht geben, dass die Probleme der sogenannten „Ninjas" nicht
aufgebauscht werden. Viele Politiker versprechen, dass sie die sozialen Probleme
der Ninjas lösen wollen. Aber bis jetzt ist nichts geschehen.
Nicht die Ninjas sind das Problem. Der Bergbau, auch der Mikrobergbau muss
organisiert, von der Regierung und der Öffentlichkeit kontrolliert werden. In
den nächsten zwei Jahren sollten die entsprechenden Regularien wirksam werden.
In der Mongolei sollte es überhaupt keine „Ninjas" geben. Alle sollten in ihren
erlernten Berufen arbeiten und sich dadurch ein menschenwürdiges Leben
ermöglichen können.
Durch eine entsprechende Politik will ich mit dazu beitragen, dafür die
Voraussetzungen zu schaffen.
7. Ihr Wahlkreis liegt im Dornod-Aimag. Die Unterschiede in den Lebensbedingungen der Land- und Stadtbevölkerung werden eher größer als kleiner. Ihre Meinung dazu?
Mein erster Wahlkreis, der Wahlkreis 17, lag
tatsächlich in Dornod. Ich wurde dort 1998 und 2000 gewählt. Dafür bin ich den
Menschen sehr dankbar.
Im Jahre 2004 wurde ich im 69. Wahlkreis im Songinokhairkhan-Distrikt von
Ulaanbaatar gewählt. Aber ich kenne natürlich die unterschiedlichen
Lebensbedingungen der Land- und Stadtbevölkerung. Ich denke, um diese
Unterschiede zu vermindern, braucht man andere Verfahren, als in anderen
Ländern. Unsere ländliche Bevölkerung lebt sehr weit verstreut. Ihre
Haupttätigkeit ist die Viehzucht. Wenn man unter Angleichung der
Lebensbedingungen die Urbanisierung der ländlichen Bevölkerung versteht, so ist
das unmöglich für ein nomadisches Land, in dem es wenige Städte gibt, weil
Nomaden die nicht brauchen.
Einfach ausgedrückt, in Ulaanbaatar existiert eine urbane Kultur, auf dem Land
eine Nomadenkultur.
Anders sieht es aus, wenn die unterschiedliche Gesundheitsversorgung und der
Zugang zu Bildung gemeint sind.
Nach den politischen und wirtschaftlichen Umgestaltungen seit Anfang der 90-er
Jahre des 20. Jahrhunderts hat sich der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen,
zu Bildung und Ausbildung für die Landbevölkerung verschlechtert.
Je mehr sich die wirtschaftliche Lage verbessert, desto besser werden die
staatlichen Institutionen in der Lage sein, diese Defizite zu beseitigen. Es ist
eine Frage des politischen Willens.
8. Ihre Meinung zum novellierten Wahlgesetz, zur Frauenquote?
Diese beiden Entscheidungen gehören tatsächlich
zu den wichtigsten Erfolgen in der Parlamentsarbeit der vergangenen Jahre.
Die Parlamentswahlen 2000 und 2004 waren sehr trickreich. Die die Macht
ausübenden politischen Führungskräfte scheuten sich nicht, den Staats- und
Verwaltungshaushalt zu mobilisieren und auszunutzen. Sie hatten jede
Zurückhaltung verloren. Zwischen den Parteien und Kandidaten wurde gekungelt,
lokale politische Bedienstete und die Medien gekauft, es war üblich, die Wähler
mit Geldgeschenken zu ködern.
Die durch die Änderungen am Wahlgesetz eingeführten Mechanismen haben dem enge
Grenzen gesetzt, hoffe ich. Hinzufügen möchte ich, dass auch die Änderungen am
Parteiengesetz diesem Ziel dienen sollten.
Die Einführung der Frauenquote ist ein großer Fortschritt, ich fürchte jedoch,
dass es bereits Versuche gibt, sie aufzuweichen. Es ist zu hoffen, in der
knappen Zeit, die bis zu den Parlamentswahlen verbleibt, werden diese Versuche
zum Scheitern verurteilt sein.
*Oyun hatte mit ihren Befürchtungen Recht. Die Frauenquote wurde mit den Stimmen der Parlamentsmehrheit aus dem Wahlgesetz gestrichen.R.B.
9. Wie schätzen Sie das Klima im Großen Staatskhural ein? Frauen-Männer; Parteien; Frauen der verschiedenen Parteien?
Das Klima im Großen Staatskhural ist sehr
schwierig. Vor allem, nachdem die größte Oppositionspartei, die DP, der
Regierung nicht mehr angehört, ist es kompliziert geworden. Das ist einerseits
verständlich, weil die Regierung nicht sehr fähig, mit vielen
Interessenkonflikten beladen und ein sehr buntes Team ist.
Einen Frauen-Männer-Konflikt gibt es in unserem Parlament nicht. Dafür sind
offene und verborgene Gruppenbildungen zwischen den Parteien und innerhalb der
Parteien keine Seltenheit.
Dem Großen Khural gehören fünf Frauen an. Wir haben nicht das Bedürfnis, uns zu
bekämpfen.
10. Die Mongolei ist das Land mit den höchsten
Zuwendungen im Rahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit pro Kopf
der Bevölkerung.
Die Armut konnte trotzdem nicht entscheidend verringert werden. Worin sehen Sie
die Ursachen?
Es fehlt an Produktion. Es fehlt an einer Politik
zur Förderung der Produktion.
Außer den in die Hände der großen und kleinen Chefs gefallenen „kleinen und
mittleren Betriebe" gibt es nichts. Deswegen fehlen Arbeitsplätze. Es ist
unmöglich, Arbeit zu finden. Es ist unmöglich, ein Einkommen zu erwirtschaften.
Die Menschen können nicht zufrieden und vertrauensvoll leben. Die geplagten
Menschen sollten pro Arbeitsstunde bezahlt werden. Die Bürgermutpartei hat
bereits vor einem Jahr die Einführung eines Mindeststundenlohns von einem einen
USD vorgeschlagen. Falls die Regierung unsere Vorschläge nicht annehmen kann,
könnte sie uns mindestens die Gründe dafür, aufgrund welcher Untersuchungen
diese Vorschläge nicht annehmbar sind, nennen. Sogar dafür fehlt dieser
Regierung die Fähigkeit. Es gibt keine Partei, die sagt: "Euer Vorschlag ist
richtig". Eine Partei, die sagt, „Lasst uns gemeinsam nach Möglichkeiten
suchen", fehlt.
Es ist bedauerlich, dass wir die Worte „Das fehlt, das gibt es nicht, das können
wir nicht, das wollen wir nicht" das ist einfach herz- und gewissenlos" so oft
sagen müssen, aber es anders auszudrücken, ist unmöglich.
11. Auf welchem Wege soll den Opfern von Kreditgenossenschaften geholfen werden?
Kurz gesagt, das Geld soll von den bekannten und
den versteckten Gaunern zurück erstattet werden. Wie könnte anders geholfen
werden?
Das muss vom Staat veranlasst werden. Deshalb ist es richtig, dass sich die
Geschädigten an den Staat gewandt haben. Sie wollen niemanden ins Gefängnis
bringen. Sie wollen ihr verlorenes Geld zurück. Ein Jahr ist vergangen. Das ist
eine ausreichende Zeit, wenn nicht für die Entschädigung aller Opfer, dann
zumindest für die Feststellung, wo und in welcher Form sich das verlorene Geld
finden lässt. Die Geschädigten wurden bisher nicht aus dem Vermögen der
Kreditgenossenschaften entschädigt. Dafür soll am Ende des Jahres Geld aus dem
Staatshaushalt, also das der Steuerzahler, herangezogen werden.
Das kann nur im Interesse der Leute liegen, die die Gaunereien zu verantworten
haben oder davon profitierten.
12. Was halten Sie vom Bau eines neuen Parlamentsgebäudes im Park nördlich des Regierungspalastes?
Gemeinsam mit dem Abgeordneten unserer Partei, M.
Zorigt und einigen anderen Abgeordneten gehören wir zum "Grünen Bund" innerhalb
des Großen Staatskhurals.
Wir sind dagegen. Wir alle wissen, wie knapp die Grünflächen in Ulaanbaatar
sind. Wir alle wissen, wie schlecht die Luft in Ulaanbaatar ist. Deshalb ist es
unverständlich, dass einer von zwei Parks, die seit 40 bis 50 Jahren wachsen und
der Erholung dienen, verschwinden soll.
Der Grüne Bund hat bisher 15 Unterschriften gegen das Vorhaben gesammelt. Wir
denken, es werden noch mehr.
13. Welches Ziel setzt sich die Bürgermutpartei für
die Parlamentswahlen im nächsten Jahr?
Streben Sie eine Koalition an? Wenn ja, mit welcher Partei?
Wir sind keine Partei, die Bündnisse und Zusammenarbeit ablehnt. Wir freuen uns über jeden und jede der neuen, jungen Generation und auch über Frauen, die für uns kandidieren wollen.
15. Was tun Sie am liebsten in Ihrer knapp bemessenen Freizeit?
Seit der Geburt unseres Sohnes unternehmen wir, mein Mann, ich und unser Sohn sehr gerne Ausflüge.
Frau Dr. Oyun, wir danken Ihnen für das Interview.
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