Dr. Renate Bormann, Berlin
Botschafter Mandakhbileg in seinen Amtsräumen am Hausvogteiplatz in Berlin
Das letzte Gespräch mit einem mongolischen
Botschafter in Deutschland liegt sieben Jahre zurück
Seitdem hat sich die Welt verändert.
Corona, Wirtschaftskrise, Inflation, der Angriffskrieg Russlands gegen die
Ukraine, der Gazakrieg, die Spannungen auf der koreanischen Halbinsel und um
Taiwan, um nur einige der einschneidenden Wendepunkte im internationalen
Zusammenleben zu nennen.
Die Mongolei ist direkt oder indirekt von allen betroffen.
Am 06. Dezember 2021 hat Botschafter Mandakhbileg sein Beglaubigungsschreiben an
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier übergeben, zwei Tage vor der Bildung der
deutschen Koalitionsregierung aus SPD, Bündnis90/Die Grünen (die Grünen) und
FDP.
Wir freuen uns, dass der Botschafter der Mongolei Zeit gefunden hat, um mit
Mongolei Online (MO) über die aktuelle wirtschaftliche und politische Lage in
der Mongolei, das bilaterale Verhältnis zwischen Deutschland und der Mongolei,
über Probleme, Aufgaben und Ziele, auch über Privates und seine berufliche
Entwicklung zu sprechen.
MO: Verraten Sie uns etwas über Ihre Herkunft und Familie und Ihren beruflichen Werdegang?
M.: Geboren
wurde ich 1964 in Ulaanbaatar.
Im Alter von sieben Jahren bin ich mit meinen Eltern das erste Mal nach
Deutschland gereist. Mein Vater war Doktorand am Institut für
Gesellschaftswissenschaften (IfG).
In Ulaanbaatar habe ich die russische Schule Nr. 3 besucht, an der ab der
5.Klasse Deutsch als Fremdsprache unterrichtet wurde.
Ich bin verheiratet und Vater von zwei Kindern, beide haben das Licht der Welt
in Deutschland erblickt.
Unsere Tochter hat nach ihrem Studium in Heidelberg inzwischen eine Tätigkeit in
Berlin aufgenommen, unser Sohn hat sein erstes juristisches Staatsexamen in
Potsdam abgelegt und arbeitet als Rechtsreferendar ebenfalls in Berlin.
Nach meinem Studium der Rechtswissenschaften von 1983 bis 1987 in Leipzig,
wo ich auch meine spätere Frau kennengelernt habe, bin ich 1987
in die Mongolei zurückgekehrt. Nach dem einjährigen Wehrdienst habe
ich bis 1993 als Angestellter in der Justiz und in der Verwaltung des Parlaments
gearbeitet.
Zwischenzeitlich, von September 1992 bis Januar 1993, war ich Praktikant im
Deutschen Bundestag.
Von 1993 bis 1998 absolvierte ich ein Zusatzstudium in Heidelberg, das ich als
Master of Laws (LL.M. und mit der Promotion zum Dr. jur. abschloss.
Nach der Promotion kehrten wir im Oktober 1998 in die Mongolei zurück, es war
die Zeit, als der Mitbegründer der demokratischen Bewegung Sanjaasurengiin Zorig
ermordet worden war.
Im Januar 1999 trat ich in den diplomatischen Dienst meines Heimatlandes, war
zunächst Deutschland-Referent in der Politischen Abteilung des
Außenministeriums, später stellvertretender Leiter der Konsularabteilung,
stellvertretender Leiter der Europaabteilung, Leiter der Rechtsabteilung und von
2017 bis 2021 Berater in der Rechtsabteilung im Außenministerium.
Zudem arbeitete ich von Oktober 2002 bis Juni 2006 für den Staatspräsidenten als
juristischer Berater.
Zwischenzeitlich war ich dreimal in verschiedenen Funktionen an der mongolischen
Botschaft in Berlin eingesetzt, ehe ich 2021 zum Botschafter berufen wurde.
MO: Im Juni haben die Mongolen1 ein
neues Parlament gewählt.
Von den 126 Sitzen in der Großen Staatsversammlung hat die regierende MVP 68
gewonnen, die DP 42, die Partei der Werktätigen acht, das Nationale Bündnis und
die Zivilcourage-Grüne Partei je vier.
Wie bewerten Sie das Wahlergebnis?
M.:
Hauptanliegen unserer wichtigen politischen Parteien ist es, die politische
Stabilität im Land zu sichern.
Das außenpolitische Umfeld für die Mongolei ist, was unseren nördlichen Nachbarn
betrifft, unruhig.
Es kommt darauf an, keine Spaltung der Gesellschaft zuzulassen, Einigkeit ist
wichtig.
Obwohl die MVP mit einer absoluten Mehrheit die Wahl gewonnen hatte, entschied
sie sich, mit anderen Parteien eine Koalitionsregierung zu bilden.
In beiden Lagern gab es dafür Zustimmung und auch Widerstand.
Schließlich wurde eine Regierung aus MVP, DP und der Nationalen Partei der
Werktätigen (Khun) gebildet.
Ziel ist es, dass diese Regierung langlebig ist, bis zum Ende der
Legislaturperiode im Amt bleibt.
Bisher hatten wir in der modernen mongolischen Geschichte zwei
Koalitionsregierungen, die jeweils schnell zusammengebrochen waren.
Nun also der dritte Versuch.
Deutschland ist reich an Erfahrungen mit Koalitionsregierungen.
Eine Delegation von vier mongolischen Spitzenpolitikern ist deshalb eigens nach
Deutschland gereist, um sich mit deutschen Kollegen auszutauschen.
Erfahrungen anderer Länder sind immer nützlich.
In den Gesprächen mit Amtsträgern von SPD, FDP und den Grünen wurde von Seiten
der Ampelvertreter auf einen grundsätzlichen Unterschied zwischen beiden Ländern
hingewiesen: In der Mongolei hätte nicht unbedingt die Notwendigkeit für die
Bildung einer Koalitionsregierung bestanden.
Ex-Präsident N. Enkhbayar, z.B. war dagegen, die mongolische Bevölkerung
allerdings will keine Zersplitterung, führende MVP-Politiker wie L. Oyun-Erdene
und D. Amarbayasgalan machten sich stark, Politiker der anderen Parteien für
eine gemeinsame Regierung zu gewinnen.
MO: Und Ihre Einschätzung der wirtschaftlichen Lage in der Mongolei?
M.:
Nach den
Wahlen ist vor den Wahlen.
Im Oktober finden in den Aimags, Sums, Stadtbezirken von Ulaanbaatar und in
Ulaanbaatar Kommunalwahlen statt.
Danach kommen wieder ruhigere Zeiten.
Die wirtschaftliche Lage der Mongolei gestaltet sich aktuell positiv.
Die Kohleexporte steigen und damit die Staatseinnahmen, Löhne und Gehälter sowie
die Sozialhilfen werden erhöht, was allerdings nicht nur positive Reaktionen zur
Folge hat.
„Die Leute wollen nicht mehr arbeiten", hört man oft.
MO: Was halten Sie vom Vorhaben, die Hauptstadt der Mongolei nach Khar Khorin (Karakorum) zu verlegen?
M.: Dahinter steht die Absicht, das Leben
der Menschen lebenswerter zu gestalten, moderne Standards zu setzen.
Das Verkehrschaos in Ulaanbaatar verschlimmert sich von Jahr zu Jahr, das
gleiche gilt für die Luftbelastung, vor allem im Winter.
Die übermäßige Konzentration auf Ulaanbaatar muss einer besseren
Diversifizierung Platz machen.
Stadtgründungen auf dem Land spielen dabei eine Rolle.
Gerade heute wurde die Entscheidung bekannt, das Ministerium für
Landwirtschaft, Nahrungsgüter und Leichtindustrie in den Darkhan-Uul-Aimag zu
verlegen zu verlegen
Zuun Mod beispielsweise, das Zentrum des Tuv-Aimags, soll wegen seiner Nähe
zum internationalen Flughafen „Chinggis Khaan" ausgebaut werden.
Der Plan, die Hauptstadt nach Khar Khorin zu verlegen bzw. sie hier neu
aufzubauen, erfordert natürlich enorme Anstrengungen, die Kosten dafür muss der
mongolische Staat vorschießen, auf ausländische Hilfe können wir uns dabei nicht
verlassen.
Doch der Plan besteht.
MO:. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt
die Mongolei, die gute Beziehungen sowohl zu Russland als auch zur Ukraine
unterhält, vor besondere Herausforderungen.
Wie reagiert die mongolische Bevölkerung auf diesen Krieg?
M.:
Die
Sympathien der Mongolen sind geteilt, die jüngere Generation unterstützt eher
die Ukraine, die ältere Russland.
In unserem Land herrscht freie Medienwahl, nur die wenigsten Medien befinden
sich in staatlicher Hand, es gibt keine staatliche Lenkung.
Die Berichterstattung über den Krieg ist eher neutral.
In der Mongolei können alle ausländischen Medien genutzt werden.
Die jungen Leute informieren sich hauptsächlich in englischsprachigen Medien
oder in südkoreanischen.
Bei den älteren sind russische TV-Sendungen sehr beliebt.
Am Anfang des russischen Krieges gegen die Ukraine war der russische Druck auf
uns enorm.
Erinnern Sie sich an die Fake News über die Verlegung von 30 Biolaboren aus der
Ukraine in die Mongolei?
Russische Staatsbürger dürfen visumfrei in die Mongolei einreisen und nach
Ablauf der Frist ungehindert weiterreisen, da haben wir uns nicht unter Druck
setzen lassen.
Unsere friedliche Außenpolitik basiert auf dem Neutralitätsprinzip.
Wir sind gegen jeden Krieg, Waffenruhe und Verhandlungen bieten echte Lösungen.
Die Politik des „Dritten Nachbarn" ist erfolgreich, unsere geografische Lage
zwischen Russland und der VR China können wir jedoch nicht ignorieren.
Unsere nationale Sicherheitsdoktrin kann kurz so umrissen werden: Ein Drittel
Russland, ein Drittel China, ein Drittel der Westen.
MO: Der Staatsbesuch des russischen Präsidenten
W. Putin in der Mongolei Anfang September hat international hohe Wellen
geschlagen.
Wie werden der Besuch und die internationalen Reaktionen darauf in der Mongolei
bewertet?
M.: Der Sowjetunion haben wir es zu
verdanken, dass wir ein souveräner Staat werden konnten und sind. Bspw. wurden
wir nach langjährigen vergeblichen Versuchen mit Unterstützung der SU
vollwertiges Mitglied in der UNO.
Unser erster Antrag geht auf das Jahr 1946 zurück, die Chinesische Republik
(Taiwan) stimmte regelmäßig dagegen.
Unsere Beziehungen zu Russland kann man trotzdem nicht anders als ambivalent
bezeichnen. Die Repressionen in der Stalin-Ära oder während der
Sowjetzeit sind nicht vergessen.
Im Moment kommen wir mit unserem nördlichen Nachbarn gut aus.
Anders wäre es auch schwierig für uns.
Fast 100 Prozent unserer Kraftstoffe und 25% Elektroenergie beziehen wir aus
Russland.
Ohne diese Lieferungen könnten wir die bevorstehenden Erntearbeiten nicht
bewältigen, der Winter steht bevor und der ist bei uns bekanntermaßen lang und
kalt.
Bereits im Juli zeichnete sich ein offizieller Besuch Putins in der Mongolei ab.
Auch unter Regierungspolitikern und sogar innerhalb der MVP gab es Stimmen, die
gegen den Besuch votierten.
Die Mongolei ist seit 2002 Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH)
und sei gemäß dem Römischen Statut verpflichtet, den Staatsgast festzunehmen und
an Den Haag auszuliefern. Wie hätte das allerdings praktisch bewerkstelligt
werden sollen?
MO.: Gab es Reaktionen seitens der Mitgliedsstaaten?
M.:
In meiner
Eigenschaft als mongolischer Botschafter bin ich ins Auswärtige Amt einbestellt
worden.
Ein Abteilungsleiter äußerte die Unzufriedenheit der deutschen Regierung mit
unserer Entscheidung, den Besuch zugelassen zu haben und wies auf den Schaden
hin, der dadurch dem Völkerrecht und dem Ruf des IStGH zugefügt werde.
MO: Welche Hoffnungen verbinden Sie mit der weiteren deutsch-mongolischen Zusammenarbeit?
M.:
In meiner
Amtszeit wurde zwischen Deutschland und der Mongolei eine strategische
Partnerschaft vereinbart. Beim Besuch von Bundespräsident Frank-Walter
Steinmeier im Februar in der Mongolei vereinbarten beide Seiten eine
strategische Partnerschaft, um künftig enger in den Bereichen Politik,
Entwicklungszusammenarbeit, Verkehr, Wissenschaft, Archäologie, Umwelt, Energie,
Justiz und Wirtschaftsförderung zusammenzuarbeiten.
Dafür sind wir dem Auswärtigen Amt, dem Präsidialamt und dem Kanzleramt sehr
dankbar.
Unsere beiden Länder verbinden gleiche demokratische Werte.
Auch die Wiederherstellung der direkten Entwicklungszusammenarbeit zwischen
unseren beiden Ländern vor zwei Jahren hat sich positiv auf unsere Beziehungen
ausgewirkt.
Beim Ostgobi-Windpark in Sainshand, der mit deutschen Investitionen,
Investitionen aus dem dänischen Staatsfonds und von Ferrostaal errichtet wurde,
hakt es zurzeit noch zwischen den Investoren und dem mongolischen
Energieministerium.
Doch wir sind auf einem guten Weg, suchen gemeinsam nach Lösungen.
Die Arbeitspartei (Hun), Mitglied der Koalitionsregierung, setzt sich stark für
erneuerbare Energien und damit für Solar-, Windenergie ein.
Hauptprobleme für die deutsch-mongolische Wirtschaftskooperation sind die große
geografische Entfernung, der kleine mongolische Markt, die Kaufkraft der
mongolischen Bevölkerung steigt zwar, aber in überschaubarem Maße.
Im Vergleich zu 2022 ist das deutsch-mongolische Außenhandelsvolumen zwar um
acht Prozent gewachsen.
Das Ungleichgewicht zwischen mongolischen Exporten nach Deutschland (12
Millionen Euro) und deutschen Importen in die Mongolei (210 Millionen) kann uns
jedenfalls nicht zufrieden stellen.
Der Krieg in der Ukraine behindert zudem unsere Handelswege nach Europa, die
Sanktionen (Kontrollen an den Zollgrenzen) treffen uns empfindlich.
MO: Vor kurzem haben in Thüringen und Sachsen
Landtagswahlen stattgefunden.
Die Ergebnisse haben für große Aufregungen in den Chefetagen der Bundesrepublik,
vor allem in denen der Parteien, gesorgt.
Wie bewerten Sie die Wahlergebnisse?
M.:
Als
Botschafter in Deutschland verfolge ich natürlich Wahlen, ob Bundestag, Landtag
oder Kommunen sehr genau.
Die AfD konnte 30 und mehr Prozent der Wähler für sich gewinnen. Ein Drittel,
das ist nicht wenig.
Der politische Gegner muss im fairen Wettbewerb um die Gunst der Wähler werben.
Verbote sind eher kein geeignetes Mittel.
In der Geschichte der demokratischen Mongolei hat es noch nie ein Parteienverbot
gegeben.
MO: Wo halten Sie sich in Deutschland, abseits Ihrer dienstlichen Verpflichtungen, am liebsten auf?
M.:
Deutschland ist überall schön.
Bis auf Ostfriesland habe ich bisher alle Landesteile besucht.
Und natürlich steht ein Besuch Ostfrieslands noch auf meinem Reiseprogramm.
MO: Herr Botschafter, wir bedanken uns für das sehr aufschlussreiche und spannende Gespräch, hoffen auf eine Fortsetzung und wünschen Ihnen viel Erfolg für Ihre weitere Arbeit.
Botschafter B. Mandakhbileg
Das Gespräch führte Renate Bormann am 11. September 2024 in Berlin.
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Last Update: 02. November 2024