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Gerichtsorganisation, Justizberufe

Herausgeber: Dr. Dietrich Nelle


Literaturhinweise
Gebhardt, Justizreform in der Mongolei, Jahrbuch für Ostrecht 43 (2002), S. 237-257.
General Council of Courts (Hg.), The Mongolian Benchbook – A Practical Manual for Judges, Ulaanbaatar 1998
Nelle, Die Reform von Zivilrecht, Zivilverfahren und zivilrechtlicher Vollstreckung in der Mongo­lei, in: Jahrbuch für Ostrecht 46 (2005), S. 357-392
Ders., Juristenausbildung und -auswahl in der Mongolei, in: Wirtschaft und Recht in Ost­europa (WiRO) 2005, S. 198-201

9.1 Gerichtsaufbau

(Quelle: Dr. Dietrich Nelle, Bonn)

Der Gerichtsaufbau ist klar in drei Stufen organisiert. Die in vielen Transformationsländern noch verbreiteten Arbitragegerichtsbarkeit ist vollständig abgeschafft. Die sog. Somon-Gerichte bilden die Eingangsinstanz. Sie werden überwiegend als bürgernahe Reisegerichte vor Ort in den Kreisstädten tätig. Während eines jeweils ca. alle zwei Monate stattfindenden örtlichen Gerichtstags werden dort im Laufe eines oder mehrerer Tage alle bis dahin aufgelaufenen Fälle sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen verhandelt. Nur so ist eine einigermaßen effektive Rechtsgewährleistung für die nach wie vor zu einem großen Anteil als Viehzüchter nomadisierende Bevölkerung zu gewährleisten; andererseits schließt dieses System jegliche Spezialisierung der beteiligten Richter aus. Die Aimag-Gerichte als Berufungsinstanz sind in den Provinzhauptstädten und der Oberste Gerichtshof als Revisionsinstanz in der Landeshauptstadt Ulaanbaatar tätig. Spezial- und Sondergerichtsbarkeiten gibt es in der Mongolei derzeit nicht, nach der Verabschiedung einer Verwaltungsgerichtsordnung wird jedoch im Rahmen der ordentlichen Justiz eine Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgebaut.

 

9.2 Gerichtsorganisationsgesetz

(Quelle: Nelle/Delgermaaa, Chronik der Rechtsentwicklung in der Mongolei 2002, S. 384)

Nach der Verabschiedung des Gesetzgebungspaktes zur Justizreform wurde 2002 auch das Gerichtsorganisationsgesetz grundlegend novelliert.  Die  abschliessende parlamentarischen Beratung verlief unter außergewöhnlichen Begleitumständen. Es erschienen alle 17 dem Obersten Gerichtshof angehörenden Richter mit dem Präsidenten an der Spitze und begehrten Rederecht. Der Parlamentspräsident lehnte dies ab und wies auf die Beteiligung des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs an der vorbereitenden Gesetzgebungsarbeitsgruppe sowie seine Anwesenheit bei den Ausschussberatungen hin.

In der Sache betraf der Hauptkritikpunkt der die Absenkung der Zahl der am Obersten Gerichtshof tätigen Richter von bislang 17 auf künftig 11. Andererseits wird das Gehalt des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs demjenigen des Premierministers angeglichen; die sonstigen Richtergehälter sollen vom Parlament in Orientierung an dieser Anpassung ebenfalls angehoben werden. Die Altersgrenze wird auf 60 Jahre abgesenkt, Richterinnen können auf eigenen Wunsch auch bereits mit Vollendung des 55. Lebensjahres pensionieren lassen; so soll jungen, auf der Grundlage des neuen Rechtes ausgebildeten Juristen das Nachrücken erleichtert werden. Nachdem bei den letzten Parlamentswahlen eine Vielzahl von Richtern als Kandidaten aufgetreten waren, wurde diesbezüglich eine Unvereinbarkeitsbestimmung in das Gesetz aufgenommen. Kandidiert ein Richter bei einer Wahl zum Staatspräsidenten oder Parlament, so ist er von seinem Dienst zu beurlauben und kann sein Amt erst nach einer Frist von 2 Jahren wieder aufnehmen.

Neu gestaltet wurde 2002 auch der Oberste Richterrat. Aufgrund der Novelle verliert der Justizminister künftig den Vorsitz in diesem Gremium an den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs. Neu in das Gremium aufgenommen wird der einflussreiche Präsident des - zweitinstanzlichen - Hauptstadtgerichts, während der ständige Sekretär des Obersten Richterrats seine bisherige starke Stellung sowie die Mitgliedschaft in diesem Gremium verliert. Im übrigen bleibt die Zusammensetzung unverändert (Generalstaatsanwalt, je ein Vertreter des Parlaments sowie des Staatspräsidenten, je zwei Richter aus den drei Instanzen). Der Oberste Richterrat muss künftig mindestens zwei mal pro Monat zusammen treten. Seine wesentliche Aufgabe besteht auch künftig in der Behandlung richterlicher Personalfragen. Das Verfahren zur Rekrutierung von Richtern soll jedoch transparenter gestaltet werden. Hierüber hat nach der Novelle eine einzige, landesweit zuständige Kommission beim Obersten Richterrat zu entscheiden.

Ferner wird der Oberste Richterrat verpflichtet, regelmäßige Richterfortbildungen auf der Grundlage einer konkreten Planung zu organisieren. Zugleich werden auch die Richter selber verpflichtet, an Richterfortbildungen teilzunehmen und sich weiter zu qualifizieren. Damit erhält das in Umfang und Qualität vorbildliche System der mongolischen Richterfortbildungen nun Gesetzesrang.

Großen Umfang in den Diskussionen nahm der Umgang mit Ethikverstößen von Richtern ein. Zur Behandlung dieser Fragen wurde neben dem Obersten Richterrat ein zweites Gremium eingesetzt, welches aus den 11 Richtern des Obersten Gerichtshofs sowie den Präsidenten aller 22 zweitinstanzlichen Gerichte des Landes bestehen soll. Dieses Gremium soll dafür zuständig sein, Richtlinien für die richterliche Ethik auszuarbeiten. Ferner soll es einen landesweit tätigen Disziplinarausschuss mit 15 Mitgliedern berufen.  An diesen soll sich jeder Bürger und Gerichtspräsident wenden können, wenn er der Auffassung ist, dass ein Richter die Ethikrichtlinien verletzt hat.

Rund zwei Drittel der Verfahren betreffen inzwischen Zivilsachen, vor allem schuldrechtliche Streitigkeiten. In den Rechtsmittelinstanzen hat hingegen die traditionelle Gepflogenheit Bestand, durch Einlegung von Appellen eine Strafmilderung zu erreichen.

9.3 Geschäftsstellenwesen

(Quelle: Nelle, Chronik der Rechtsentwicklung - Mongolei in: Wirtschaft und Recht in Osteuropa (WiRO) 2002, S. 159)

Deutliche Verbesserungen zeigt in den letzten Jahren auch die Organisation des Geschäftsstellenwesens der Gerichte. Da das Anwachsen der Geschäftseingänge aufgrund der wirtschaftlichen Belebung und gestiegenen Rechtsbewusstseins in der Bevölkerung schon angesichts der Finanzlage des mongolischen Staates nicht durch entsprechende Personalzuwächse kompensiert werden kann, ist eine Lösung nur über Effizienzsteigerungen  zu erreichen. Im Vordergrund steht dabei die Qualifizierung des nichtrichterlichen Personals und die Nutzung moderner Bürotechnik, um die Richterschaft systematisch von nichtrichterlichen Aufgaben zu entlasten. Ein Modellvorhaben im Rahmen der deutsch-mongolischen Entwicklungszusammenarbeit wurde 2001 in Kooperation mit weiteren internationalen Gebern auf alle Gerichte in Ulaanbaatar übertragen. Es wird inzwischen auch unter den Bedingungen eines ländlichen Gerichtes pilotmäßig erprobt und ein ähnliches Modellvorhaben bei der mongolischen Generalstaatsanwaltschaft durchgeführt. Zu den Auswirkungen auf die Arbeitspraxis der Gerichte hat das Forschungsinstitut des Obersten Gerichtshof eine Rechtstatsachenerhebung durchgeführt, an welcher sich 113 Mitarbeiter sechs erstinstanzlicher Gerichte in Ulaanbaatar beteiligten. Hiervon waren den Mitarbeiterstrukturen grob entsprechend 2 % vorsitzende Richter, 42 % sonstige Richter, 21 % Hilfsrichter sowie 35 % Gerichtsschreiber und sonstiges Kanzleipersonal; mehr als 80 % der Befragten waren weiblichen Geschlechts. Nach dem unveröffentlichten Abschlussbericht wurde die im Zuge der Organisationsentwicklung bewirkte Arbeitszeitentlastung von knapp einem Viertel der Befragten auf über 50 % veranschlagt, ein weiteres Drittel fühlte sich um 30 bis 50 % entlastet, weitere 20 % gaben eine Zeiteinsparung zwischen 10 und 30 % an.  Der angegebene Effizienzgewinn fiel dabei umso höher aus, je länger die neuen Verfahrensweisen beim betreffenden Gericht angewendet wurden.  Zwei weitere Erhebungen deuten – trotz des unbestreitbar fortbestehenden Handlungsbedarfs – ebenfalls auf eine positive Grundentwicklung hin. Nach einer weiteren unveröffentlichten Studie des Forschungsinstituts des Obersten Gerichtshofs ist das Interesse breiterer Bevölkerungsschichten an den Anliegen und Inhalten der neuen Gesetzgebung deutlich gewachsen. Von Hochschuldozenten und Studenten gestaltete und im mongolischen Staatsfernsehen wöchentlich landesweit ausgestrahlte Sendung zu Rechtsfällen des Alltags zählt danach zu den zehn meist gesehenen Programmen des Landes. Nach einer Umfrage eines privaten Meinungsforschungsforschungsinstituts unter Geschäftsleuten hat sich das Ansehen des Justizwesens signifikant verbessert. Wurde dieser Bereich in früheren Umfragen regelmäßig als ein Haupthemmnis für wirtschaftliche Entwicklung angegeben, so taucht es in der aktuellen Umfrage nur auf Platz acht von zehn vorgegebenen Problembereichen auf. 68 % der Befragten sahen in der Steuererhebung ein deutliches oder großes Hindernis für die Wirtschaftsentwicklung, 44 % nannten Vetternwirtschaft und Korruption, 40 % die mangelhafte Infrastruktur, 39 % aufwändige und langwierige Genehmigungsverfahren, je 29 % fehlende oder zu geringe Qualifikation von Arbeitskräften bzw. unklare, unvollständige oder praxisfremde staatliche Vorschriften, 27 % die Durchführung staatlicher Kontrollen,  24 % die Funktionsweise des Justizwesens, 18 % Schwierigkeiten bei der Kapitalversorgung sowie 18 % Mängel bei der Verfügbarkeit von Wirtschaftsdienstleistungen einschließlich Rechtsberatung.

 

9.4 Juristenausbildung

(Quelle: Nelle, Chronik der Rechtsentwicklung - Mongolei in: Wirtschaft und Recht in Osteuropa (WiRO) 2002, S. 159)

Grundlegende Reformen erfolgten auch im Bereich der Juristenausbildung. Nachdem das ehemals an der staatlichen Hochschule konzentrierte Jurastudium seit der Hochschulreform von 1993 auch von privaten Hochschulen organisiert werden darf, gibt es bei einer Gesamtbevölkerung von 2,4 Mio. Einwohnern insgesamt inzwischen fast 40 Anbieter mit einem sehr heterogenen Qualitätsniveau. Ein Ausleseprozess hat jedoch nunmehr begonnen. Erstmals wurden sechs dieser Privathochschulen, welche den gesetzlichen Voraussetzungen nicht genügten,  durch das Bildungs- und das Justizministerium die Lizenz entzogen.

Mehr Qualität und Transparenz soll aber insbesondere gemäß dem vom Parlament verabschiedeten Rechtsreformprogramm durch eine Neuordnung der Juristenausbildung geschaffen werden.

 

Das Juristenauswahlgesetz von 2003 regelt das Auswahlverfahren für Juristen, die als Richter, Gerichtsvollzieher, Rechtsanwalt, Notar, Staatsanwalt oder Polizist tätig sein wollen. Zu diesem Zweck wird ein Staats­examen eingeführt. Es gelten da­bei die Grundsätze der Beachtung der Menschenrechte, der Freiheit, der Transparenz, der Gleichheit, der Gesetzmäßigkeit, der Unabhängigkeit, der Vertraulichkeit und des gerechten Wettbewerbs. Zur Durchfüh­rung der Prüfungen wird ein aus hohen Justizbeamten bestehender Prüfungsrat eingerichtet. Ferner wird ein Prüfungsausschuss aus bei Gerichten, Staatsanwaltschaft, staatlichem Voll­streckungsamt und in der Anwaltschaft tätigen Fachleuten sowie Rechtswissenschaftlern gebildet. Die Prüfung besteht aus einer schriftlichen Klausur, welche auf die Lösung von Fällen bezogen ist, sowie einer mündlichen Prüfung. Der Prüfungsrat verkündet einmal jährlich Ort und Zeit der Auswahlprüfungen. Die Prüfungen haben landesweit gleichzeitig zu beginnen und zu enden. Ein neues Auswahlverfahren darf frühestens zehn Monate nach Abschluss des vorherigen beginnen. Es ist mindestens 45 Tage vorher in der Presse anzukündigen. Teilnahmeberechtigt sind mongolische Bürger und Auslän­der, welche über mindestens einen juristischen Bachelor-Abschluss verfügen, welcher auch an einer ausländischen Hochschule erworben sein darf. Ferner darf ein Bewerber nicht vorbestraft sein. Bewer­bungsschluss ist sieben Tage vor Prüfungsbeginn. Die Teilnahme an der Prüfung darf nur aus bestimm­ten, gesetzlich festgelegten Gründen verwehrt werden. Bei Nichtbestehen der Prüfung kann diese beliebig oft wiederholt werden. (Töriin medeelel 2003, Nr. 23).

 

9.5 Richter

(Quelle: Dr. Dietrich Nelle, Bonn, Oktober 2009)

Derzeit gibt es in der Mongolei rund 360 Richter. Den Richterberuf ergreifen kann, wer einen rechtswissenschaftlichen Abschluss erworben hat und mindestens 3 Jahre rechtspraktisch (in der Regel bereits bei Gericht als Hilfsrichter) tätig war. Über Einstellung und Beförderung entscheidet der Oberste Richterrat (s.o. 9.2). Die geringe Besoldung der Richterschaft und mehr noch deren geringe Schulung in der Abfassung auch für die unterlegene Seite nachvollziehbarer Urteilsbegründungen nährte immer wieder Korruptionsverdacht. In den letzten Jahren ist jedoch eine steigende soziale Wertschätzung des Richteramtes zu beobachten. Insgesamt sind in der Mongolei landesweit in allen drei Instanzen zusammen genommen rd. 360 Richter tätig, von denen rund 60 % weiblichen Geschlechts sind.

 

Selbstverteidigung von Richtern

(Quelle: Nelle, Chronik der Rechtsentwicklung - Mongolei in: Wirtschaft und Recht in Osteuropa (WiRO) 2003, S. 159)

Angesichts verbreiteter Befürchtungen von Richtern über Bedrohungen hat der Oberste Richterrat beschlossen, dass Richter künftig Tränengas, Gaspistolen und elektrische Schlagstöcke zur Selbstverteidigung tragen dürfen.

 

9.6 Richterliche Hilfskräfte

(Quelle: Dr. Dietrich Nelle, Bonn)

Im Rahmen der Justizreformen des Jahres 2002 wurde aufbauend auf den Erfahrungen mit Modellvorhaben zur Reform des Geschäftsstellenwesens (o. 9.3) die Funktion der richterlichen Hilfskraft eingeführt. Diese soll den Richter von administrativen Aufgaben entlasten, damit dieser sich auf seine eigentlichen juristischen Aufgaben konzentrieren kann.

 

9.7 Staatsanwälte

 (Quelle: Dr. Dietrich Nelle, Bonn)

Die Staatsanwaltschaft genießt eine der Stellung der Gerichte vergleichbare Unabhängigkeit. Die Organisation der Staatsanwaltschaften ist spiegelbildlich zu den Gerichtsstrukturen. Die Zahl der Staatsanwälte entspricht ungefähr derjenigen der Richter; der Frauenanteil ist etwas geringer als bei der Richterschaft. Für die Einstellung gelten entsprechende Voraussetzungen wie für die Richterschaft, die Staatsanwaltschaft trifft ihre Personalentscheidungen autonom.

 

 (Quelle, Nelle, Chronik der Rechtsentwicklung - Mongolei in: Wirtschaft und Recht in Osteuropa (WiRO 2003, S. 127)

Nach der grundlegenden Reform wichtiger Justizgesetze einschließlich Straf-, Strafverfahrens- und Strafvollzugsrecht sowie Gerichtsorganisation wurde 2003 auch das Gesetz über die Staatsanwaltschaft reformiert. Reformschwerpunkt hier ist die Überarbeitung der berufsrechtlichen Bestimmungen. Entsprechend der bereits für Richter durchgeführten Reformen sind bei der Einstellung hohe Anforderungen an Kenntnisse, Fähigkeiten und Ethik des Bewerbers zu stellen. Für aktive Staatsanwälte wird die Teilnahme an der - in den letzten Jahren mit Unterstützung im Rahmen der mongolischen Entwicklungszusammenarbeit aufgebauten - Fortbildung verpflichtend. Nimmt ein Staatsanwalt als Kandidat an einer Wahl zum Staatspräsidenten oder Parlament teil, so ist er für zwei Jahre zu beurlauben. Die Altersgrenze wird auf 60 Jahre festgelegt; eine Staatsanwältin, welche das 55. Lebensjahr überschritten hat, kann auf eigenen Antrag in den Ruhestand versetzt werden. Ein zweiter Schwerpunkt betrifft Organisationsfragen. Ähnlich wie bereits bei der Reform des richterlichen Geschäftsstellenwesens erprobt, sollen auch Staatsanwälte Hilfspersonal zur Entlastung von nichtjuristischen Tätigkeiten erhalten. Nachdem die neue Strafprozessordnung die Ermitt­lungszuständigkeit in Strafsachen weitgehend auf die Polizei konzentriert hat,  regelt das Staatsanwaltschaftsgesetz nun die mit den verbleibenden Ermittlungsaufgaben der Staatsanwaltschaft zusammenhängenden Organisationsfragen. Die neue Zivilprozessordnung, welche die bislang starke Beteiligung von Staatsanwälten an Zivilverfahren auf Fälle reduzierte, an welchen der Staat wegen Verletzung eigener Rechte als Partei beteiligt ist, wird dergestalt umgesetzt, dass die Staatsanwaltschaft auf Antrag einer staatlichen Behörde Amtshilfe zu leisten hat und damit eine der anwaltlichen Tätigkeit vergleichbare Funktion übernimmt. eine Die Aktenführung soll durch Archivierung auf zentralstaatlicher und Provinzebene verbessert werden. Ferner soll die inter­nationale Zusammenarbeit intensiviert werden.

 

9.8 Rechtsanwälte

(Quelle: Dr. Dietrich Nelle, Bonn)

Die Berufstätigkeit der Rechtsanwälte ist im mongolischen Anwaltsgesetz von 1994 geregelt. Danach steht die freie Ausübung der Anwaltstätigkeit unter staatlichem Schutz, der Anwalt hat im Rahmen der Gesetze die Rechte und Interessen seiner Mandanten zu vertreten. Die Anwaltstätigkeit wird entweder freiberuflich oder gemeinschaftlich im Rahmen von Vereinigungen der anwaltschaftlichen Selbstverwaltung ausgeübt, ist also konsequenter als in anderen Transformationsländern privatisiert worden. Der Anwaltsberuf hat in letzter Zeit insbesondere im Hinblick auf die stärker als im Öffentlichen Dienst gestiegenen Verdienstmöglichkeiten deutlich an Attraktivität gewonnen und findet insbesondere in der Hauptstadt Ulaanbaatar einen entsprechenden Zulauf von Nachwuchsjuristen. Ein großer Mangel herrscht allerdings nach wie vor an Anwälten mit Kenntnissen westlicher Fremdsprachen. Besonders auf dem dünn besiedelten Lande ist es hingegen ein häufiges Problem, überhaupt einen geeigneten Anwalt zu finden, zumal die Häufigkeit von Juristenehen dazu führt, dass die Wahrscheinlichkeit von verwandtschaftlichen Beziehungen zu einem anderen prozessbeteiligten Juristen relativ hoch ist.

 

9.9 Notare

(Quelle: Dr. Dietrich Nelle, Bonn, Oktober 2009)

Das Notariatswesen ist im Notargesetz von 1997 geregelt. Dort heißt es u.a., dass der Notar nach den Prinzipien der Gerechtigkeit und Unabhängigkeit zu verfahren hat und für im Rahmen seiner Berufsausübung schuldhaft angerichteten Schaden in vollem Umfang haftbar ist. Die Zahl der pro Bezirk zuzulassenden Notare wird durch das Justizministerium festgelegt. Angesichts des Verbots einer anderweitigen Nebentätigkeit (außer Lehre, Forschung und Rechtsanwaltstätigkeit) bedeutet diese Festlegung eine schwierige Gratwanderung. Einerseits gilt es, durch die Begrenzung von Neuzulassungen ein ausreichendes Gebührenaufkommens für die bereits tätigen Notare zu sichern. Andererseits ist der Notwendigkeit einer angemessenen Versorgung des Wirtschaftsverkehrs mit Notariatsdienstleistungen durch Zulassung von Notaren in einer ausreichenden Zahl sowie Öffnung des Berufszugangs für bereits im Hinblick auf das gewandelte Recht ausgebildete Nachwuchskräfte zu berücksichtigen. In städtischen Gebieten wird das Notariat inzwischen ganz überwiegend durch private Notare ausgeübt. In vielen ländlichen Kreisen, in denen es häufig keinen einzigen ausgebildeten Juristen gibt, wird diese Funktion dagegen vielfach vom örtlichen Landrat oder einem seiner Mitarbeiter nebenher ohne entsprechende Schulung wahr genommen. Dabei ist die Bedeutung des Notariatswesens in einem fundamentalen Wandel begriffen. Die Nachfrage nach Notarleistungen etwa bei Errichtung von – gerade in den ländlichen Regionen bedeutsamen – Genossenschaften, bei der Bearbeitung von Immobiliarangelegenheiten nach der fast vollständigen Privatisierung des Wohnungsbestandes überall im Lande oder bei der Errichtung von Testamenten ist sprunghaft gestiegen. Nach dem neuen Vollstreckungsgesetz von 2002 können notarielle Urkunden künftig auch Grundlage von Vollstreckungsmaßnahmen sein. Auf der anderen Seite gibt es kaum Notare, die auf die neuen Aufgaben adäquat vorbereitet wären. So kommt es vor, dass sich ihrer Überforderung durchaus bewusste „Notare“ von den Parteien eine Haftungsverzichtserklärung unterzeichnen lassen, in welcher sie auf ihre mangelnde Qualifikation für die ihnen übertragene Aufgabe hinweisen. Leider konnten trotz der Präsenz verschiedener internationaler Geberinstitutionen bislang für Notare anders als etwa für Richter und Staatsanwälte keine systematischen Fortbildungsaktivitäten organisiert werden.

 

9.10 Gerichtsvollzieher

(Quelle: Dr. Dietrich Nelle, Bonn, Oktober 2009)

Es gibt derzeit rund 150 Gerichtsvollzieher. Die Tätigkeit als Gerichtsvollzieher setzt ähnlich wie die Richter- und Staatsanwaltschaftslaufbahn ein juristisches Hochschulstudium voraus, wird jedoch im Vergleich zu diesen von Berufsanfängern weniger nachgefragt. Die Novelle des Vollstreckungsgesetzes im Jahre 2002 hat den Gerichtsvollziehern nun neue Perspektiven eröffnet, indem die Möglichkeit geschaffen wurde, bei erfolgreicher Vollstreckung beachtliche Prämien zu verdienen. Organisatorisch sind sie seit einigen Jahren aus der Gerichtsbarkeit ausgegliedert und in eigenes unter Aufsicht des Justizministeriums stehendes Vollstreckungsamt eingegliedert worden, welches auch für den Strafvollzug zuständig ist.

9.11 Strafvollzugsbeamte

(Quelle: Dr. Dietrich Nelle, Bonn)

Die Gefängnisverwaltung liegt beim staatlichen Vollstreckungsamt, welches auch für die zivilrechtliche Vollstreckung zuständig ist. Die Aufsicht über die Vollzugsanstalten liegt bei der Staatsanwaltschaft.

9.12 Fortbildungen

(Quelle: Nelle, Chronik der Rechtsentwicklung - Mongolei in: Wirtschaft und Recht in Osteuropa (WiRO) 2002, S. 159)

Nachdem mangelnde Kenntnisse über die selbst für juristische Fachleuten kaum zu überschauende Flut zu den Hauptkritikpunkten des rechtlichen Reformprozess gehörten und in den ersten zehn Jahren dieses Prozesses Fortbildungen selbst für Richter nur sporadisch angeboten werden konnten, beginnt die Situation sich inzwischen spürbar zu verbessern. Nach der Arbeitsplanung des Obersten Richterrats für das Jahr 2002 soll jeder Richter mindestens zwei Mal je eine Woche interaktive, fallorientierte Intensivfortbildungen zur Reformgesetzgebung in dezentralen Kleingruppen erhalten. Der größte Teil der hier als Dozenten eingesetzten einheimischen Richter  wurde vom Obersten Richterrat für jeweils ein Jahr beurlaubt und in dieser Zeit im Rahmen der deutsch-mongolischen Entwicklungszusammenarbeit fachlich und didaktisch fortgebildet. Eine entsprechende systematische Fortbildungsaktivität wird derzeit bei der Staatsanwaltschaft aufgebaut.


Informationen zur Mongolei:
MongoleiOnline
Kurfuerstenstr. 54, 53115 Bonn, Germany

   

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Last Update: 03. Januar 2021